Frauen fordern Sicherheit – und Frieden: Ukraine

Im Osten der Ukraine herrscht seit 2014 Krieg; 2022 weitete Russland seinen Angriffskrieg auf weitere Teile des Landes aus. Bereits im Sommer 2021 lancierten wir ein Pilotprogramm mit Frauen in konfliktbetroffenen Gemeinden entlang der damaligen Kontaktlinie zwischen Russland und den besetzten Regionen in der Ostukraine, wo Frauen seit Jahren von grassierender Armut, sozialer Unsicherheit und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind. Unser Ukraine-Programm gab ihnen den nötigen Raum, um gemeinsam Strategien für einen sicheren Alltag und eine gleichberechtigte Teilhabe an der Friedensförderung zu erarbeiteten. Wir führen mit ihnen während des Krieges die Friedensarbeit weiter.

Hintergrund

Im Jahr 2014 übernahmen pro-russische Kräfte die Kontrolle über die Krim, eine ukrainische Halbinsel, deren Bewohner:innen mehrheitlich russischer Herkunft sind. Die Behörden hielten ein Referendum ab, in dem sich die Wähler:innen der Krim für die Abspaltung und den Anschluss an Russland entscheiden sollten. Die Europäische Union bezeichnete das Referendum als «illegal und unrechtmässig». Russland wurde daraufhin aus der Gruppe der 8 (G8) ausgeschlossen. Russland annektierte die Krim im März 2014.

Im April 2014 brachte eine bewaffnete von Russland unterstützte Separatistenbewegung, die Regierungsgebäude in der ostukrainischen Region Donbas in ihre Gewalt. Donezk und Luhansk erklärten sich zu unabhängigen Republiken.

Minsker Abkommen nicht umgesetzt

Russische bewaffnete Einheiten drangen in die Ukraine ein, um die ukrainischen Streitkräfte daran zu hindern, die Kontrolle über den Donbas zurückzugewinnen. Im August 2014 wurde das erste Minsker Abkommen unterzeichnet, mit dem Ziel, die Kampfhandlungen zu beenden. Die darin enthaltenen Bedingungen wurden nicht umgesetzt und die Kämpfe gingen weiter. Das zweite Minsker Abkommen von 2015 sieht 13 Schritte zum Frieden vor, doch die Gewalt flammte entlang der Kontaktlinie immer wieder auf.

Wolodymyr Selenskyj, der 2019 zum Präsidenten gewählt wurde, verpflichtete sich, den Krieg in der Ostukraine zu beenden. Im Juni 2020 wurde die Ukraine zum «Enhanced Opportunities Partner» der NATO ernannt. Selenskyj ging rigoros gegen russische Oligarchen vor. Ab April 2021 wurde über eine Aufstockung der russischen Truppen entlang der Grenze zur Ukraine berichtet. Russland forderte «Sicherheitsgarantien», einschliesslich eines Verbots der NATO-Erweiterung, von den Vereinigten Staaten und der NATO.

Am 24. Februar 2022 startete Russland einen Angriff auf die Ukraine, einschliesslich einer Invasion russischer Streitkräfte aus Weissrussland, und behauptete, die Ukraine sei ein Teil Russlands. Millionen von Menschen sind aus der Ukraine geflohen und wurden im Land vertrieben. Der Angriff beschränkte sich nicht nur auf die östlichen Regionen, auch die Hauptstadt Kyiw und andere Städte wurden bombardiert. Anfang Dezember 2024 meldete die ukrainische Regierung 43'000 gefallene Soldaten. Ende 2024 verzeichnete das UN-Menschenrechtsbüro (OHCHR) 40'838 zivile Opfer seit dem Angriff 2022, einschliesslich 12'456 Tote.

Gescheiterte Friedensbemühungen

Seit Februar 2022 gab es Versuche, einen Waffenstillstand und einen Friedensprozess einzuleiten. Bislang sind jedoch alle Bemühungen, die Parteien an einen Tisch zu bringen, gescheitert. Die Schweiz war 2022 Gastgeberin einer Konferenz, die sich mit dem Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg befasste und an die früheren Ukraine Reform Conference für die Ukraine anknüpfte. Die Ukraine Recovery Conference findet jährlich statt.

(Quellen: Council of Foreign Relations, Wikipedia)

Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen

Frauen waren von den offiziellen Verhandlungen und Friedensgesprächen zwischen Russland und der Ukraine weitgehend ausgeschlossen, ebenso zivilgesellschaftliche Organisationen. Bei den Minsker Friedensgesprächen in den Jahren 2014 und 2015 gehörten der ukrainischen Delegation zwei Frauen an, während Russland eine reine Männerdelegation entsandte. Bei den Bemühungen um einen Waffenstillstand und eine Beendigung der Kämpfe, die seit dem russischen Angriff im Februar 2022 stattgefunden haben, werden Frauen weiterhin ausgegrenzt. 

Als Teil der ukrainischen Zivilgesellschaft haben sich Frauen jedoch in verschiedenen Funktionen an der humanitären Hilfe und der Friedensförderung beteiligt. Von Frauen geführte Gruppen und Organisationen koordinieren die medizinische Versorgung, die Lieferung von Lebensmitteln und soziale Dienste für die Binnenvertriebenen. Vor 2022 förderten sie den Dialog zwischen ethnischen ukrainischen und russischen Gruppen am Rande der offiziellen Verhandlungen und waren an der Dokumentation, der von den russischen Streitkräften begangenen Gräueltaten beteiligt. Als die häusliche Gewalt in der Nähe der ostukrainischen Konfliktgebiete zunahm, setzten sich Aktivistinnen erfolgreich dafür ein, dass das ukrainische Parlament 2017 ein Gesetz verabschiedete, das häusliche Gewalt unter Strafe stellt und Ressourcen für die Betroffenen bereitstellt.

Aktivismus, Nothilfe, Widerstand

Seit Februar 2022 organisieren und leisten Frauen weiterhin Hilfe, um die dringendsten Bedürfnisse der vom Konflikt betroffenen Bevölkerung zu decken. Sie übernehmen ausserdem wichtige vakante Rollen im Schul- und Gesundheitswesen und in Fabriken. Die häusliche Gewalt hat nach dem Angriff Russlands wieder zugenommen. Einige Frauen haben sich den Kämpfern an der Front angeschlossen, andere haben kleine Aktionen des zivilen Ungehorsams und des Widerstands organisiert. Ausserdem haben ukrainische Expertinnen seit der Annexion der Krim und während des anhaltenden Konflikts die «Frauen, Frieden und Sicherheit»-Agenda vorangetrieben und auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen des Konflikts hingewiesen. Der erste nationale Aktionsplan der Ukraine zur UN-Resolution 1325 wurde 2016 veröffentlicht.

(Quellen: Council on Foreign Relations, Wikipedia, The Guardian)

Unser Programm

Wir starteten 2020 ein Pilotprogramm; 2021 organisierten wir in Zusammenarbeit mit unserer ukrainischen Programmpartnerin Kharkiv Regional Foundation Public Alternative (KRF Public Alternative) 12 FrauenFriedensTische (Women's Peace Tables, WPT) in der Nähe der damaligen Kontaktlinie in der Ostukraine. Die WPTs befassten sich mit der Sicherheit und den täglichen Herausforderungen von Frauen, einschliesslich wirtschaftlicher Unsicherheiten, den Auswirkungen von Geschlechternormen und -stereotypen und den Folgen des Krieges auf die Geschlechterdynamiken.

Die Eskalation des russischen Angriffskrieges im Jahr 2022 löste einen akuten Notstand aus: Es galt, die WPT-Teilnehmerinnen, die in den besetzten Gebieten der Ostukraine verblieben sind, in dieser Situation zu unterstützen. In enger Zusammenarbeit mit Public Alternative richteten wir einen Nothilfefonds ein und verteilten über ein Netzwerk von Freiwilligen lebensnotwendige Güter: Lebensmittel, medizinische Hilfe, Decken und SIM-Karten.

Wichtiger Austausch und eigene Projekte

Durch den Angriff der russischen Streitkräfte verzögerte sich der Start eines mehrjährigen Programms. Aufbauend auf dem Pilotprojekt von 2020 entwickelte sich das Länderprogramm Ukraine auf der Grundlage eines feministischen Ansatzes für den Frieden. Es bietet den vom Konflikt betroffenen Frauen sichere Räume, in denen sie sich mit wichtigen Fragen für einen nachhaltigen Frieden auseinandersetzen können (u. a. geschlechtsspezifische Gewalt, wirtschaftliche Ausgrenzung, Mangel an Arbeitsplätzen und fehlende Ausbildungsmöglichkeiten). Es bietet ihnen auch die Möglichkeit, lokal oder virtuell eigene kleine Projekte zu initiieren. Damit tragen wir zum Aufbau von Führungskompetenzen bei und unterstützen ihrer friedensfördernden Aktivitäten.

Auf der Grundlage dieser positiven Ergebnisse haben wir in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnerinnen ein neues Länderprogramm entwickelt. Bis 2026 wird es sich darauf konzentrieren, ein friedensförderndes Umfeld zu schaffen. Gleichzeitig zielt es darauf hin, im Rahmen unseres Tätigkeitsbereichs Friedensförderung in bewaffneten Konflikten, eine Vision des Friedens zu entwickeln, die auf den Bedürfnissen der betroffenen Frauen basiert. Mit dem Ukraine-Länderprogramm sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich Frauen an Diskussionen über Frieden und Sicherheit sowie über den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel beteiligen können. Ziel ist es, das Wort «Frieden» zurückzuerobern und es aus einer positiven, feministischen und bedürfnisorientierten Perspektive zu definieren – als Gegengewicht zu russischen Narrativen, die auch das Wort «Frieden» «besetzt» haben.

Umfeld für Frieden schaffen

Mit diesem Länderprogramm schaffen wir ein Umfeld, in dem der Frieden gedeihen kann, indem wir Vertrauen zwischen verschiedenen Gruppen ukrainischer Frauen aufbauen, einschliesslich derjenigen, die ins Exil gegangen, und derjenigen, die in der Ukraine geblieben sind. Gemeinsam mit unseren Partnerinnen ermöglichen wir es Frauen in Führungsrollen in ihren Gemeinden, sich zu treffen, zu lernen und sich auszutauschen. Sie entwickeln ihre eigenen Narrative und Forderungen sowie ihre Visionen für den Frieden auf der Grundlage der konkreten Bedürfnisse ihrer Gemeinden. Ein weiterer Schwerpunkt des Programms ist die Förderung der Vernetzungsfähigkeiten und -strategien dieser Führungsfrauen, damit sie sich auf mögliche Verhandlungen und Dialoge vorbereiten und ihre Netzwerke als wichtigen Beitrag zur Friedensförderung nutzen könnnen.