Das kolumbianische Friedensabkommen ist ein internationales Musterbeispiel für die Inklusion von marginalisierten Bevölkerungsgruppen und für die Beteiligung von Frauen. Es ist weltweit das erste Friedensabkommen, das wirkungsvoll einen geschlechtsspezifischen Ansatz integrierte, und eines der fortschrittlichsten in Bezug auf die Rechte von Frauen und der LGBTIQ+-Bewegungen. Die Frauen- und die LGBTIQ+-Bewegungen spielten eine bedeutende Rolle für den Einbezug ihrer Stimmen und Anliegen während den Friedensverhandlungen.
Gender-Aspekte abgeschwächt
Die Frauen- und LGBTIQ+-Bewegungen konnten in verschiedenen Phasen des Friedensprozesses Einfluss nehmen. Dank ihnen integriert das Friedensabkommen einen geschlechtsspezifischen Ansatz und enthält ein ganzes Kapitel zum Thema Gender. Das Abkommen integriert ethnische und geschlechtsspezifische Perspektiven. So verweist es beispielsweise ausdrücklich auf das Recht von Frauen auf Landbesitz, enthält besondere Bestimmungen für die politische Beteiligung von Frauen und erklärt, dass es für Verbrechen sexualisierter Gewalt keine Amnestie gibt.
Dieser geschlechtsspezifische Ansatz war im Vorfeld des Referendums von 2016 über das Friedensabkommen sehr umstritten. Mit 50,2% stimmten die Stimmbürger:innen dagegen. Daraufhin unterzeichneten die kolumbianische Regierung und die FARC-EP ein überarbeitetes Friedensabkommen. Die Geschlechterperspektive und insbesondere die Rechte von LGBTIQ+-Personen wurden infolge im endgültigen Abkommen abgeschwächt.
Gewalt gegen Aktivist:innen geht weiter
Das Abkommen hat dennoch Vorbildfunktion. Doch bei der Umsetzung steht es vor grossen Herausforderungen. Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens sind verschiedene Regionen des Landes in neuen Spiralen der Gewalt und des bewaffneten Konflikts gefangen. Diese Gewaltspirale ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen:
Die unvollständige Umsetzung des Friedensabkommens
Die begrenzten Möglichkeiten des Staates, die Gewalt zu kontrollieren und in den betroffenen Gebieten präsent zu sein.
Die Zunahme bewaffneter Gruppen und deren Kampf um territoriale Kontrolle.
Hindernisse bei den laufenden Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und anderen bewaffneten Gruppen (z.B. mit der EPL).
Die zunehmende Remilitarisierung und andauernde Gewalt haben verschiedene Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Umwelt wie die Rekrutierung von Minderjährigen oder die Ausbeutung der Natur durch Abholzung der Wälder. Insbesondere der Kampf um Routen für den illegalen Drogenhandel hat vielfältige Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und vor allem auf Frauen. Sie sind Zielscheibe sexualisierter Gewalt und leiden unter dem Verlust ihres Einkommens und ihres Landes durch die Zerstörung der Biodiversität infolge des bewaffneten Kampfs. Der soziale Druck, in traditionelle Frauenrollen zurückzukehren, ist gross. Insbesondere Frauen in Führungsrollen werden stigmatisiert und sind in ihrer Tätigkeit stark eingeschränkt, weil sie diese nur mit grosser Vorsicht ausüben können.