Inklusiver Prozess für nachhaltigen Frieden: Kolumbien

In Kolumbien setzen wir uns seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der FARC-EP-Guerilla in 2016 für die Teilhabe von konfliktbetroffenen Frauen an dessen Umsetzung ein. Mit unserem Programm engagieren wir uns dafür, dass ihre Erfahrungen und Anliegen in der Transformation zu einer nachhaltig friedlichen Gesellschaft miteinbezogen werden.

Hintergrund

Das 2016 unterzeichnete Friedensabkommen zwischen den FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Ejército del Pueblo) und der kolumbianischen Regierung sollte nach mehr als 50 Jahren einen der längsten bewaffneten Konflikte beenden, der das Leben von über 450’000 Menschen gefordert hat. Frauen waren mehrfach betroffen: Sie nahmen als Kombattantinnen der FARC-EP am Kriegsgeschehen teil und erlebten zu Tausenden sexualisierte Gewalt von beiden Konfliktparteien. Der bewaffnete Konflikt mit den FARC-EP ist zwar formell seit 2016 zu Ende, die Gewalt geht jedoch weiter.

Mit dem Friedensabkommen begann der Prozess, die Hauptursachen des Konflikts anzupacken: die ungleiche Landverteilung und politische Partizipation sowie den Handel mit illegalen Drogen. Das Friedensabkommen schuf das «Umfassende System für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung», mit der Wahrheitskommission als eine von drei Institutionen, die für diesen Zweck geschaffen wurde. Die Wahrheitskommission nahm 2018 ihre Arbeit auf, die Ursachen des Konflikts aufzuzeigen und seine leidvolle Realität offenzulegen. 2022 beendete die Kommission ihre Arbeit mit der Überreichung ihrer Berichte. Die Zeit nach dem Abschluss des Friedensabkommens ist in Kolumbien eine entscheidende Phase, um die Rolle der Zivilgesellschaft, insbesondere von Frauen, im Aufbau einer friedlichen Gesellschaft zu sichern.

Beteiligung von Frauen am Friedensprozess

Das kolumbianische Friedensabkommen ist ein internationales Musterbeispiel für die Inklusion von marginalisierten Bevölkerungsgruppen und für die Beteiligung von Frauen. Es ist weltweit das erste Friedensabkommen, das wirkungsvoll einen geschlechtsspezifischen Ansatz integrierte, und eines der fortschrittlichsten in Bezug auf die Rechte von Frauen und der LGBTIQ+-Bewegungen. Die Frauen- und die LGBTIQ+-Bewegungen spielten eine bedeutende Rolle für den Einbezug ihrer Stimmen und Anliegen während den Friedensverhandlungen.

Gender-Aspekte abgeschwächt

Die Frauen- und LGBTIQ+-Bewegungen konnten in verschiedenen Phasen des Friedensprozesses Einfluss nehmen. Dank ihnen integriert das Friedensabkommen einen geschlechtsspezifischen Ansatz und enthält ein ganzes Kapitel zum Thema Gender. Das Abkommen integriert ethnische und geschlechtsspezifische Perspektiven. So verweist es beispielsweise ausdrücklich auf das Recht von Frauen auf Landbesitz, enthält besondere Bestimmungen für die politische Beteiligung von Frauen und erklärt, dass es für Verbrechen sexualisierter Gewalt keine Amnestie gibt.

Dieser geschlechtsspezifische Ansatz war im Vorfeld des Referendums von 2016 über das Friedensabkommen sehr umstritten. Mit 50,2% stimmten die Stimmbürger:innen dagegen. Daraufhin unterzeichneten die kolumbianische Regierung und die FARC-EP ein überarbeitetes Friedensabkommen. Die Geschlechterperspektive und insbesondere die Rechte von LGBTIQ+-Personen wurden infolge im endgültigen Abkommen abgeschwächt.

Gewalt gegen Aktivist:innen geht weiter

Das Abkommen hat dennoch Vorbildfunktion. Doch bei der Umsetzung steht es vor grossen Herausforderungen.  Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens sind verschiedene Regionen des Landes in neuen Spiralen der Gewalt und des bewaffneten Konflikts gefangen. Diese Gewaltspirale ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen:

  • Die unvollständige Umsetzung des Friedensabkommens

  • Die begrenzten Möglichkeiten des Staates, die Gewalt zu kontrollieren und in den betroffenen Gebieten präsent zu sein.

  • Die Zunahme bewaffneter Gruppen und deren Kampf um territoriale Kontrolle.

  • Hindernisse bei den laufenden Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und anderen bewaffneten Gruppen (z.B. mit der EPL).

Die zunehmende Remilitarisierung und andauernde Gewalt haben verschiedene Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Umwelt wie die Rekrutierung von Minderjährigen oder die Ausbeutung der Natur durch Abholzung der Wälder. Insbesondere der Kampf um Routen für den illegalen Drogenhandel hat vielfältige Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und vor allem auf Frauen. Sie sind Zielscheibe sexualisierter Gewalt und leiden unter dem Verlust ihres Einkommens und ihres Landes durch die Zerstörung der Biodiversität infolge des bewaffneten Kampfs. Der soziale Druck, in traditionelle Frauenrollen zurückzukehren, ist gross. Insbesondere Frauen in Führungsrollen werden stigmatisiert und sind in ihrer Tätigkeit stark eingeschränkt, weil sie diese nur mit grosser Vorsicht ausüben können.

Unser Programm

Seit 2016 haben hunderte konfliktbetroffene Frauen an FrauenFriedensTischen teilgenommen, die wir gemeinsam mit unserer Programmpartnerin Corporación de Mujeres Ecofeministas Comunitar (Comunitar) durchführten.

Diese Treffen deckten verschiedenen Bedürfnisse ab. Die Frauen – darunter auch Indigene, Kleinbäuerinnen, Afrokolumbianerinnen und «mestiza» Frauen – erhielten an den FrauenFriedensTischen Zugang zu Wissen, Netzwerken und Zeit, u.a. um gemeinsam Forderungen und Advocacy-Strategien zu entwickeln. Die FrauenFriedensTische wurden in Städten und in abgelegenen Gebieten durchgeführt. Vor allem in ländlichen Gebieten, kennen Frauen die rechtlichen Möglichkeiten nicht, welche ihnen das Friedensabkommen bietet.

Trotz zunehmender Gefahr nicht aufgeben

Die neuen Gewaltspiralen und die Einschränkung der Führungsrolle von Frauen gefährden die aufgrund des Friedensabkommens erreichten Fortschritte. Weibliche Führungspersönlichkeiten werden gezielt von bewaffneten Gruppen bedroht und ermordet, um Angst zu verbreiten und ihre Beteiligung an der Umsetzung des Abkommens einzuschränken.

Seit 2025 stärken wir aus diesem Grund gemeinsam mit Comunitar die Selbstschutzmechanismen und die Selbstfürsorge von Frauen, damit ihre Führungsrollen erhalten und gefestigt werden und sie sich weiterhin für Frieden einsetzen können. Beispielsweise suchen die Frauen gemeinsam Strategien, um ihre Advocacy-Arbeit trotz erhöhten Gefahren ausüben zu können. Aufgrund der zunehmenden Konflikte um Land und Ressourcen, setzen sie sich in dieser Programmphase gegenüber Entscheidungsträger:innen für den Schutz des Rechts auf Landbesitz für Frauen ein und verlangen Garantien für den Schutz der Menschenrechte und der Biodiversität.

Ein wichtiger Bestandteil des Programms ist zudem der Wissensaustausch zwischen den Partner:innen in Kolumbien, Nepal und den Philippinnen. Dieser begann 2019 mit einem ersten Face-to-Face-Treffen und kulminierte 2021 mit der gemeinsamen Erarbeitung der Publikation «From transition to transformation: strengthening women’s effective participation in peacebuilding and transitional justice processes». Der Wissensaustausch wird durch unsere Partnerschaft mit Comunitar in der Programmarbeit wie auch im Netzwerk Feminists Connecting for Peace weitergeführt.

Zully Meneses, Direktorin unserer Partnerin Corporación Comunitar in Kolumbien, erzählt von der Bedeutung der FrauenFriedensTische, die Frauen aus verschiedenen Regionen sichere Räume boten, wo sie frei über ihre Erfahrungen des bewaffneten Konflikts sprechen konnten.

Colombia_mujeres construyendo la paz 556,83 KB, PDF