Das kolumbianische Friedensabkommen ist ein internationales Musterbeispiel für die Inklusion von marginalisierten Bevölkerungsgruppen und für die Beteiligung von Frauen. Es ist weltweit das erste Friedensabkommen, das wirkungsvoll einen geschlechtsspezifischen Ansatz integrierte, und eines der fortschrittlichsten in Bezug auf die Rechte von Frauen und der LGBTIQ-Gemeinschaft. Die Frauen- und die LGBTIQ-Bewegungen spielten eine bedeutende Rolle für den Einbezug dieser Aspekte während der Friedensverhandlungen.
Zu Beginn der offiziellen Gespräche in Havanna im Jahr 2012 waren nur 5% der Verhandlungsführer:innen weiblich. Dank der Mobilisierung und Lobbyarbeit von Frauenorganisationen wurde 2014 eine Unterkommission für Geschlechterfragen eingerichtet. Sie hatte unter anderem die Aufgabe, alle im Rahmen des Friedensprozesses publizierten Dokumente auf geschlechtersensible Formulierungen zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie geschlechtsspezifische Bestimmungen enthalten. 2015 waren 20% der Mitglieder des Verhandlungsteams der Regierung und 43% der FARC-EP-Delegierten Frauen.
Gender-Aspekte abgeschwächt
Die Frauen- und LGBTIQ-Bewegungen konnten in verschiedenen Phasen des Friedensprozesses Einfluss nehmen. Dank ihnen integriert das Friedensabkommen einen geschlechtsspezifischen Ansatz und enthält ein ganzes Kapitel zum Thema Gender. Das Abkommen integriert ethnische und geschlechtsspezifische Perspektiven. So verweist es beispielsweise ausdrücklich auf das Recht von Frauen auf Landbesitz, enthält besondere Bestimmungen für die politische Beteiligung von Frauen und erklärt, dass es für Verbrechen der sexualisierten Gewalt keine Amnestie geben wird.
Dieser geschlechtsspezifische Ansatz war im Vorfeld des Referendums über das Friedensabkommen, das im Oktober 2016 stattfand, sehr umstritten. Mit 50,2% stimmten die Stimmbürger:innen dagegen. Daraufhin unterzeichneten die kolumbianische Regierung und die FARC ein überarbeitetes Friedensabkommen, das vom Kongress im November 2016 ratifiziert wurde und den Konflikt somit beendete. Die Geschlechterperspektive und insbesondere die Rechte von LGBTIQ-Personen wurden infolgedessen im endgültigen Abkommen abgeschwächt.
Gewalt gegen Aktivist:innen geht weiter
Das Abkommen hat dennoch Vorbildfunktion. Doch bei der Umsetzung steht es vor grossen Herausforderungen. Die Gewalt hat in den ehemals von der FARC-EP kontrollierten Gebieten zugenommen. Die Ursachen: der zunehmende Drogenhandel, die Bildung krimineller Gruppen, der legale und illegale Bergbau und die anhaltende Präsenz bewaffneter und paramilitärischer Gruppen. Der kolumbianische Staat reagiert mit einer verstärkten Militärpräsenz in den umkämpften Gebieten. Diese neue Militarisierung führt zu anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen, Massakern, neuen Vertreibungen, der Einschränkung des Bewegungsraums der Zivilbevölkerung und zu einer Zunahme von gezielten Tötungen und geschlechtsspezifischer Gewalt. Gerade Aktivistinnen, Akteur:innen der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidiger:innen agieren unter grosser Gefahr.