Frauen fordern Teilhabe an der Übergangsjustiz: Nepal

Frauen leben bis heute mit den vielschichtigen Auswirkungen des zehnjährigen bewaffneten Konflikts, der 2006 mit einem Friedensabkommen beendet wurde. Von den Friedensverhandlungen waren sie jedoch faktisch ausgeschlossen und ihre Beteiligung an den Prozessen der Übergangsjustiz bleibt weiterhin stark eingeschränkt. Mit unserem Programm stärken wir die Handlungsfähigkeit von konfliktbetroffenen Frauen und Jugendlichen und ermöglichen den Zugang zu politischen Entscheidungsträger:innen, damit sie die Regierung in die Verantwortung ziehen, sich endlich mit der gewaltvollen Vergangenheit und deren Auswirkungen auseinanderzusetzen.

Hintergrund

Die Kommunistische Partei Nepals lancierte 1996 einen Aufstand mit dem Ziel, die nepalesische Monarchie zu stürzen und eine Volksrepublik zu errichten. Mit der Unterzeichnung des umfassenden Friedensabkommens zwischen der Sieben-Parteien-Allianz und der damaligen maoistischen Partei endete 2006 der bewaffnete Konflikt nach zehn Jahren. Der Konflikt forderte mehr als 17'000 Menschenleben, bis zu 80'000 Menschen wurden vertrieben, zirka 1'500 bleiben bis heute verschwunden. Sexualisierte Gewalt wurde von beiden Konfliktparteien als Kriegswaffe eingesetzt.

Die Prozesse der Übergangsjustiz (auf Englisch «transitional justice»), die sich als Teil des Friedensabkommens mit den Konfliktursachen und -folgen befassen sollen, verlaufen schleppend. Im August 2024 unternahm das nepalesische Parlament mit der Verabschiedung eines neuen Übergangsjustizgesetzes, jedoch einen wichtigen Schritt, um den stockenden Prozess wiederzubeleben. Dieses Gesetz erkennt erstmals Vergewaltigung oder «schwere» sexualisierte Gewalt als gravierende Menschenrechtsverletzungen an, schliesst jedoch andere schwere Verbrechen aus und bietet Amnestie für Täter:innen. Das Gesetz sieht ausserdem die Neubesetzung der beiden wichtigsten Übergangsjustizgremien Nepals vor: die Wahrheits- und Versöhnungskommission sowie die Untersuchungskommission für gewaltsam Verschwundene. Über die Jahre haben sich über 65’000 unbearbeitete Beschwerden von Konfliktopfern und deren Familien angehäuft. Aufgrund der Instabilität der parlamentarischen Koalition und der nepalesischen Regierung ist die Umsetzung des Gesetzes ungewiss.

Die vom Konflikt betroffenen Frauen sind weiter mit Herausforderungen wie geschlechtsspezifischer Gewalt, patriarchalischen Normen und durch den Klimawandel verursachte Naturkatastrophen konfrontiert. Körperliche und psychische Traumata erschweren den Konfliktbetroffenen den Zugang zu Bildung und Beschäftigung, was Armut und Abhängigkeit vom Staat perpetuiert.

Beteiligung von Frauen am Friedensprozess

Der nepalesische Friedensprozess hat es versäumt, Frauen einzubeziehen, ihren Beitrag zu politischem Wandel anzuerkennen und den direkt betroffenen Frauen Gerechtigkeit zu verschaffen. Frauen, die während des Konflikts sexualisierte Gewalt erlebten, werden bis heute beschuldigt, selbst dafür verantwortlich zu sein oder nehmen die Schuld dafür auf sich. Sie galten bisher nicht als «Konfliktopfer» und erhielten deshalb keine Kompensation.

Obwohl Frauen in Nepal mehrfach und langfristig vom gewaltsamen Konflikt betroffen sind, wurden sie faktisch von den Friedensverhandlungen ausgeschlossen. Ihr Zugang zu den Prozessen der Übergangsjustiz ist durch verschiedene Hindernisse, wie sozialer Status, Geschlecht oder fehlender politischer Wille, nach wie vor stark eingeschränkt.

Der politische Wille, sich mit der gewaltvollen Vergangenheit auseinanderzusetzen, fehlte bisher genauso wie der Wille, Frauen an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Das 2024 verabschiedete Gesetz zur Übergangsjustiz bietet eine Gelegenheit, die Frauen massgeblich in die damit verbundenen Prozesse miteinzubeziehen.

Unser Programm

«Wir fordern Anerkennung. Wir fordern, dass unsere Stimmen gehört werden. Wir fordern Sicherheit. Wir fordern eine Zukunft für unsere Kinder. Wir fordern Wahrheit. Und wir fordern Gerechtigkeit, jetzt!»

Das sind die Worte einer Teilnehmerin an einem FrauenFriedensTisch in Surkhet, Nepal. Seit 2017 haben Tausende von Frauen an FrauenFriedensTischen in allen Provinzen Nepals teilgenommen. Besonders für Frauen in abgelegenen Gebieten waren diese Anlässe oft die erste Gelegenheit, über ihre Traumata zu reden und Frauen von der Gegenseite des Konflikts zuzuhören. Dort erfuhren sie mehr über die bedeutsame Rolle, die sie in den Prozessen der Übergangsjustiz spielen können, und über ihre Rechte als Konfliktbetroffene und als Bürgerinnen. Die FrauenFriedensTische wurden von unserer Partnerin Nagarik Aawaz durchgeführt.

Die Treffen trugen nicht nur zur Heilung der Traumata der Teilnehmer:innen bei, sie steigerten auch ihr Selbstbewusstsein. Viele organisierten eigene FrauenFriedensTische, gründeten regionale Netzwerke, um ihren Forderungen mehr Gewicht zu verleihen und machten Druck auf regionale Regierungsstellen, die Übergangsjustiz voranzutreiben.  An intergenerationellen FrauenFriedensTischen, die seit 2024 durchgeführt werden, sprechen Teilnehmer:innen über das Erlebte mit Jugendlichen, die den Konflikt nicht miterlebt haben und schlagen so Brücken zwischen den Generationen.

Die Regierung in die Verantwortung nehmen

Ab 2025 bleibt das Ziel des Programms die massgebliche Partizipation von Frauen in den Prozessen der Übergangsjustiz und der Konflikttransformation zu fördern. Die Inhalte des Programms sind darauf fokussiert, vom Konflikt betroffene Frauen und Jugendliche dahingehend zu unterstützen, dass sie sich stärker für ihre Rechte und für Gerechtigkeit einsetzen und die Regierung auf lokaler und nationaler Ebene in die Verantwortung nehmen können. An lokalen Treffen und in intergenerationellen Dialogen wird ihre Handlungsfähigkeit gestärkt, damit sie vor Vertreter:innen lokaler und nationaler Behörden ihre Rechte einfordern. Ausserdem nehmen sie die Regierung mehr in die Verantwortung, die Pflichten und Versprechen, die sie im Friedensabkommen und in relevanten nepalesischen Gesetzen eingegangen sind, umzusetzen. Dazu nutzen sie eigene lokale Friedensinitiativen und ein regelmässiges Monitoring des Aktivitäten der lokalen Regierungen.

Ein wichtiger Bestandteil des Programms ist der Wissensaustausch zwischen den Partner:innen in Kolumbien, Nepal und den Philippinnen. Dieser begann 2019 mit einem ersten Face-to-Face-Treffen und kulminierte 2021 mit der gemeinsamen Erarbeitung der Publikation «From transition to transformation: strengthening women’s effective participation in peacebuilding and transitional justice processes». Der Wissensaustausch wird in unserer Programmarbeit durch unsere Partnerschaft mit Nagarik Aawaz wie auch im Netzwerk Feminists Connecting for Peace weitergeführt.

Trishna Thapa, stellvertretende Geschäftsleiterin unserer Partnerin Nagarik Aawaz in Nepal, erklärt, wie unsere Zusammenarbeit basierend auf feministischen Prinzipien ein ganzheitliches Verständnis von Gerechtigkeit in der nepalesischen Gesellschaft und Politik fördert.