Frauen fordern Teilhabe an der Übergangsjustiz: Nepal

Frauen waren vom zehnjährigen Konflikt in Nepal direkt betroffen, viele auch als Kämpferinnen. Von den Friedensverhandlungen waren sie jedoch faktisch ausgeschlossen. Ihr Zugang zu den Prozessen der Übergangsjustiz bleibt stark eingeschränkt. Mit unserem Projekt unterstützen wir konfliktbetroffene Frauen bei der Heilung ihrer Kriegstraumata, dem Aufbau von lokalen Netzwerken und dem Zugang zu politischen Entscheidungsträger:innen.

Hintergrund

1996 begann die Kommunistische Partei Nepals einen Aufstand mit dem Ziel, die nepalesische Monarchie zu stürzen und eine Volksrepublik zu errichten. Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Sieben-Parteien-Allianz und der damaligen maoistischen Partei nahm 2006 der zehn Jahre dauernde Krieg ein Ende. Der Konflikt war durch zahlreiche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichnet, darunter Massaker, Massenvergewaltigungen und erzwungenes Verschwindenlassen. Er kostete mehr als 17'000 Menschen das Leben, bis zu 80'000 wurden vertrieben, zirka 1500 bleiben bis heute verschwunden. Sexualisierte Gewalt wurde von beiden Konfliktparteien als Kriegswaffe eingesetzt. 

Der Konflikt hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Geschlechterbeziehungen. Viele Frauen schlossen sich den Maoisten an, andere wurden aus ihren Städten und Dörfern vertrieben, verloren ihre Ehemänner oder wurden Frontkämpferinnen – manche aus Zwang. Der Konflikt weichte so traditionelle Geschlechterrollen auf. 

Die Prozesse der Übergangsjustiz (Transitional Justice aus dem Englischen), welche die Ursachen des Konflikts angehen und die Folgen überwinden sollen, gehen nur sehr stockend voran. Es dauerte acht Jahre, bis die Kommission für Wahrheit und Wiedergutmachung und eine Kommission zur Untersuchung von Disappeared Persons, von Opfern des Verschwindenlassens, 2014 gegründet wurden. Das Gesetz zur Schaffung dieser Kommissionen wurde international und von der nepalesischen Zivilgesellschaft wegen mehrerer Mängel scharf kritisiert.

Beteiligung von Frauen am Friedensprozess

Der nepalesische Friedensprozess hat es versäumt, die Frauen einzubeziehen, ihren Beitrag zum Systemwandel anzuerkennen und den betroffenen Frauen Gerechtigkeit zu verschaffen. Frauen, denen während des Konflikts sexualisierte Gewalt angetan wurden, gelten zum Beispiel nicht als «Konfliktopfer» und erhalten deshalb keine Kompensation.

Obwohl Frauen in Nepal mehrfach vom gewaltsamen Konflikt betroffen waren, wurden sie faktisch von den Friedensverhandlungen ausgeschlossen. Ihr Zugang zu den Verfahren der Übergangsjustiz ist aufgrund verschiedener Hindernisse nach wie vor stark eingeschränkt. In der Zeit der Reintegration nach dem Konflikt nahmen die meisten Frauen, die als Kämpferinnen tätig waren, ihre geschlechtsspezifischen Rollen wieder auf und kehrten in den häuslichen Bereich zurück.

Der politische Wille, die Vergangenheit gründlich aufzuarbeiten, fehlt genauso wie der Wille, Frauen an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen.

Unsere Projekte

«Wir fordern Anerkennung. Wir fordern, dass unsere Stimmen gehört werden. Wir fordern Sicherheit. Wir fordern eine Zukunft für unsere Kinder. Wir fordern Wahrheit. Und wir fordern Gerechtigkeit, jetzt!» 

Das sind die Worte einer Teilnehmerin an einem FrauenFriedensTisch in Surkhet, Nepal. Mehr als 1000 Frauen haben bisher an FrauenFriedensTischen (FFTs) teilgenommen. Besonders für Frauen in abgelegenen Gebieten waren diese Anlässe oft die erste Gelegenheit, über ihre Traumata zu reden und Frauen von der Gegenseite des Konflikts zuzuhören. An den FFTs erfuhren sie mehr über die bedeutsame Rolle, die sie in den Prozessen der Übergangsjustiz spielen können, und über ihre Rechte als Kriegsbetroffene und als Bürgerinnen. Die FFTs wurden jährlich von unserer Partnerin Nagarik Awaaz in den sieben Provinzen Nepals und in Kathmandu durchgeführt.

An den FrauenFriedensTischen konnten Teilnehmerinnen auch mit Frauen über das Erlebte sprechen, die nicht direkt vom Konflikt betroffen waren und so Brücken schlagen. Die FFTs trugen nicht nur zur Heilung der Teilnehmerinnen bei, sie steigerten auch ihr Selbstbewusstsein und bestärkten sie in ihrer Handlungsfähigkeit. Viele organisierten eigene FFTs, gründeten regionale Netzwerke, um ihren Forderungen mehr Gewicht zu verleihen und machten Druck auf örtliche Regierungsstellen, die Übergangsjustiz voranzutreiben.

Strukturelle Gewalt reduzieren

Das Ziel der neuen Projektphase, die 2021 gestartet ist, bleibt die wirkungsvolle Partizipation von Frauen in den Prozessen der Übergangsjustiz und der Konflikttransformation. Ihre Rolle soll an weiteren FrauenFriedensTischen gesteigert und vertieft werden, damit sie gegen die strukturelle Gewalt angehen, die im offiziellen Friedensprozess nicht thematisiert wurde.

Wichtiger Bestandteil der ersten Projektphase bis Mitte 2021 war ein Wissensaustausch zwischen den Partner:innen in Kolumbien, Nepal und den Philippinnen, der 2019 mit einem ersten Face-to-Face-Treffen begann und 2021 mit der gemeinsamen Erarbeitung der Publikation «From transition to transformation: strengthening women’s effective participation in peacebuilding and transitional justice processes» einen Zwischenabschluss fand. Dieser Wissensaustausch wird im Projekt «From exchange to change» weitergeführt.