Ukraine-Programm: Eine gemeinsame, bedarfsorientierte Vision für den Frieden

Seit Beginn unseres Programms und insbesondere seit dem russischen Angriffskrieg von 2022 bauen wir Vertrauen zu vom Krieg betroffenen Frauen in der Ukraine auf. Unsere Treffen schaffen ein Umfeld, in dem sie offen über ihre Erfahrungen sprechen und ihre Visionen für den Frieden teilen können – unabhängig davon, ob sie ins Exil gegangen, in der Ostukraine geblieben sind, oder in andere Landesteile vertrieben wurden. Nach dem Start des neu konzipierten Ukraine-Programms im Herbst 2024 organisierten wir im Februar in Krakau einen Train-the-Trainer-Workshop für Frauen, die in ihren Gemeinschaften eine führende Rolle einnehmen.

Die 20 Frauen haben am Workshop und an Diskussionen teilgenommen, um ihr Verständnis von Friedensprozessen, Instrumenten und Methoden der Friedensförderung zu vertiefen und ihre Rolle beim Friedensaufbau in ihren Gemeinden zu beanspruchen. Gemeinsam arbeiten sie an einer Vision von Frieden, die auf den Bedürfnissen von Frauen basiert.

Im Interview sprechen Olena Zinenko und Olga Larina, Mitglieder der Programmkerngruppe, über die Unterschiede, die ihnen in den Diskussionen unter den Frauen in den letzten zwei Jahren aufgefallen sind, über die aktuellen Herausforderungen und ihre Hoffnungen für die Zukunft. Olena lebt derzeit in Deutschland, Olga in der Tschechischen Republik.

Die Teilnehmerinnen haben wiederholt ihren Wunsch nach Beteiligung an politischen Prozessen zum Ausdruck gebracht.

Welche Unterschiede habt ihr bei den Treffen in Polen festgestellt: in Przemyśl im August 2023, in Krakau im Oktober 2024 und im Februar?

Olena Zinenko: Im August 2023 beschäftigten sich die Frauen vor allem mit der Anpassung an das Leben in der Stadt, in die sie vertrieben worden waren. Sie versuchten zu verstehen, was passiert war, und tauschten Erinnerungen an ihre Vertreibung aus. Im Februar begannen die Frauen darüber zu sprechen, wie die Zukunft unter den gegenwärtigen Kriegsbedingungen aussehen könnte. Der Planungshorizont ist natürlich kurz; wir sprechen von der nahen Zukunft. Was von 2023 bis 2025 geblieben ist: die Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat. Auch wenn diese Hoffnung geringer ist, bleibt der Wunsch nach Rückkehr bestehen.

Olga Larina: Ich stellte fest, dass sich in dieser Zeit Stress und Müdigkeit angestaut haben. Fast keine der Teilnehmerinnen lebt noch in ihrem ursprünglichen Zuhause. An manchen Orten ist das unmöglich, weil das Gebiet besetzt ist, an anderen ist es zu gefährlich. Alle Teilnehmerinnen klagten über Schlafmangel aufgrund von Angstzuständen und dem Beschuss. Sie waren dankbar für das Treffen im Ausland, weil sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit sicher fühlten und schlafen konnten. Die Frauen teilten ihre Gefühle offen mit, diskutierten aktiv die vorgeschlagenen Themen und sprachen über ihre Erfahrungen bei der Arbeit in ihren Gemeinschaften.

Frauen, die ins Exil gegangen, in der Ostukraine geblieben sind oder innerhalb des Landes vertrieben wurden, kamen in Krakau zusammen. Sind Spaltungen zwischen diesen Gruppen erkennbar?

Olena: In der Gruppe, mit der wir arbeiten, gibt es keine kritischen Spaltungen. Der Wunsch und die Absicht, über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten und Erfahrungen auszutauschen, sind vorhanden. In der Ukraine selbst gibt es jedoch solche Spaltungen, aufgrund der unterschiedlichen Kontexte, sogar innerhalb des Landes. Einige leben an der Front, andere in einer Stadt, die ständig unter Beschuss steht, und wieder andere in sichereren Regionen.

Olga: Etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen wurde bereits zweimal innerhalb des Landes vertrieben. Das erste Mal 2014, als sie mit ihren Familien die teilweise besetzten Gebiete von Luhansk und Donezk verliessen. Das zweite Mal mit der Invasion im Februar 2022, als sie in andere Landesteile oder ins Ausland gezogen sind. Aus meiner eigenen Erfahrung ist das zweite Mal viel schwieriger. Die Binnenvertriebene in der Gruppe, mit der wir arbeiten, waren an den Erfahrungen von Frauen im Exil interessiert und umgekehrt. Sie verstehen, dass es für alle schwierig ist. Alle wurden durch den Krieg dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Wir Organisatorinnen waren froh, dass wir ukrainische Frauen aus verschiedenen Regionen einladen konnten, um ihre Meinungen und Erfahrungen zu hören, unabhängig davon, wo sie jetzt leben.

Mit welchen Herausforderungen sind die Frauen konfrontiert?

Olena: Die erste Herausforderung besteht darin, fern von zu Hause und in einer fremden Umgebung zu leben, in der man niemanden kennt und nichts weiss. Weitere Herausforderungen betreffen die persönliche Sicherheit, die medizinische Versorgung, die Lebensbedingungen und den Verlust des sozialen Kapitals – also der Beziehungen und des Status, den man zu Hause hatte.

Olga: In kleinen Städten mangelt es an Arbeitsplätzen für Frauen. Sowohl kleine als auch grosse Städte haben keine klare Politik zur Integration von Vertriebenen in die lokalen Gemeinden. Die Frauen haben ausserdem mit Korruption, mangelnder Unterstützung durch die lokalen Behörden und unzureichender Kommunikation zwischen den Behörden und den Gemeinden zu kämpfen. An vielen Orten kommt es durch den Beschuss zu Strom- und Internetausfällen, was folgen für Kinder hat, die online unterrichtet werden. Die Frauen, die ins Ausland gegangen sind, verfügen über keine Sprachkenntnisse und müssen sich mit der europäischen Gesetzgebung, der Trennung von ihren Familien sowie wirtschaftlicher und psychologischer Unsicherheit auseinandersetzen.

Was ist für Frauen in der Ukraine derzeit am wichtigsten?

Olga: Der Krieg dauert nun schon elf Jahre, es ist schwer, in dieser Unsicherheit zu leben. Das Wichtigste ist daher Sicherheit, egal in welchem Teil der Ukraine.

Olena: Frieden heisst, nach Hause zurückzukehren, Verwandte wiederzusehen, die aus den Kriegsgebieten zurückgekommen sind, das Leben wieder aufzubauen, mit Bildung, Kultur und der Möglichkeit, für die Zukunft zu planen.

Netzwerke sind ein wichtiger Teil unserer Friedensförderung. Welche Rolle spielen sie derzeit in der Ukraine, insbesondere für Frauen und Friedensaktivistinnen?

Olena: Netzwerke schaffen Netzwerke. Unsere Verbindungen unterstützen uns dabei, uns zu erholen, uns in einer neuen Stadt zurechtzufinden, einen sozialen Kreis aufzubauen, unsere Rechte zu verteidigen, eine Psychologin, eine Zahnärztin oder eine Gynäkologin zu finden, einen Job zu suchen, eine Wohnung zu finden und uns selbst zu verwirklichen, indem wir ein Unternehmen gründen oder andere Tätigkeiten ausüben, bei denen wir unser Fachwissen einbringen können. Mit Netzwerken kann man alles erreichen.

Olga: Netzwerke stärken den Einfluss von Frauen, bieten die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen und Instrumente der Friedensförderung zu erlernen.

Wenn es eines Tages zu Friedensgesprächen kommt, wie zuversichtlich seid ihr, dass Frauen daran teilnehmen werden, dass die Teilnehmerinnen darauf bestehen werden, an den Gesprächen beteiligt zu werden?

Olga: Es wurde wiederholt gesagt, dass Friedensförderung in Kriegszeiten schwierig ist. Wie können wir während der militärischen Eskalation eine gemeinsame Basis zwischen den Parteien finden?

Olena: Frauen wollen an der politischen Diskussion, an den Entscheidungen über den Wiederaufbau und an der Friedensplanung, beteiligt werden. Die Beteiligung von Frauen ist eine Voraussetzung für einen Frieden, der auf den Grundsätzen Würde, Gerechtigkeit und Freiheit basiert. Die Teilnehmerinnen haben wiederholt ihren Wunsch nach Beteiligung an politischen Prozessen zum Ausdruck gebracht. Sie tauschten sich aus über ihre Erfahrungen mit dem Einbezug in Entscheidungsprozesse sowie über die Resultate, die sie vor dem Krieg erzielt haben. Die Gruppe hat um mehr Wissen gebeten, um in ihren Gemeinschaften effektiver arbeiten zu können.

Was sind eure Hoffnungen für das Programm?

Olga: Das Treffen im Februar führte zu einem klareren Verständnis von Friedensförderung. Es ist auch klar, dass wir von den weltweiten Erfahrungen von Frauen in Friedensprozessen lernen und diese studieren müssen.

Olena: Ich bin zuversichtlich, dass das Programm die Aktivistinnen in Gemeinschaften in der Ukraine stärken wird. Sie engagieren sich nicht nur für ihre persönliche Entwicklung, sondern auch dafür, ihr Wissen weiterzugeben und andere Frauen zusammenzubringen, um ihnen beim Aufbau des Friedens zu helfen.

 

Das Interview wurde im Mai 2025 geführt.