Publikation: From Transition to Transformation
Friedensprozesse geschlechtersensibler gestalten
Welche Bilder löst das Wort «Friedensprozesse» bei Ihnen aus? Stellen Sie sich jahrelange Verhandlungen vor, die in einer Zeremonie münden, an der die Konfliktparteien ein Abkommen unterzeichnen, gefolgt vom Foto des Händeschlags, das um die Welt geht? Wir haben dieses gängige Bild hinterfragt und dekonstruiert und uns vertieft mit Friedensprozessen und der Frage auseinandergesetzt: «Wie beeinflussen Frauen Friedensprozesse?» Das Resultat dieser Arbeit ist eine graphische Darstellung der unterschiedlichen Stadien von Friedensprozessen. Mit diesem Instrument wollen wir in den Mittelpunkt rücken, welche Rolle Frauen spielen und wo sie Einfluss nehmen, um Friedensprozesse anzutreiben und Rückschritte zu verhindern.
Friedensprozesse verlaufen nie linear, sondern in Etappen oder Phasen, die sich oft überschneiden, ohne übersichtlichen Zeitplan. Ein Friedensprozess ist vielmehr ein Puzzle aus mehreren aufeinanderfolgenden kleinen Schritten als der grosse, minutiös durchgeplante Versuch einen Konflikt gemäss Handbuch zu beenden. Er kann in jeder Phase – auch nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens – aus dem Ruder laufen und Rückschritte erleiden.
Mit dieser graphischen Darstellung wollen wir diese Komplexität aufzeigen, ohne den Anspruch zu haben, ein universell anwendbares Modell darzustellen. Vielmehr soll sie Fragen aufwerfen, analytische Debatten ermöglichen und anregen, die gängigen Narrative mit feministischen Visionen zu ergänzen.
Die Einflussnahme von Frauen und ihre Rollen in einem Friedensprozess – in der Grafik stehen sie im Mittelpunkt – sind ebenso divers, wie sie selbst. Sie sind nicht nur Verhandlerinnen, Mediatorinnen, Unterzeichnerinnen und Begleiterinnen in Friedensverhandlungen. Aus unserer langjährigen Erfahrung und der Begleitung unserer Partner:innen und Friedensaktivist:innen in unterschiedlichen Kontexten wissen wir, dass Frauen in allen neun Prozesstadien diverse Rollen einnehmen:
Im Frieden oder in angespannten Kontexten (Stadien 1-2) – am Beispiel von Brasilien und Indonesien – beeinflussen sie die politischen Debatten und Agenden, erkennen Konfliktpotentiale und verhindern aktiv das Aufkommen von Spannungen und Zusammenstössen oder Gewaltausbrüche.
Während eines bewaffneten Konflikts (Stadien 3-4) – am Beispiel der Ukraine – stehen sie für eine gewaltfreie Konflikttransformation ein und fordern Friedensverhandlungen und die Aufgabe von Feindbildern. Sie betreiben Anlaufstellen für Opfer, schaffen Vertrauen zwischen den Konfliktparteien, und fördern mehrheitsfähige Friedensabsichten.
Während den formellen Verhandlungen (Stadien 5-7) – am Beispiel von Kolumbien – fordern sie die Inklusion von diversen Visionen und die Teilnahme von Frauen an den Gesprächen und formulieren geschlechtergerechte Bestimmungen.
Nach Konfliktende (Stadien 8-9) – am Beispiel von Nepal und den Philippinen – sind sie massgeblich bei der Beobachtung der Umsetzung beteiligt, gewinnen Mehrheiten für den Frieden und nehmen eine aktive Rolle in Wahrheitsfindungsprozessen ein. Sie leiten Initiativen zur Wiederversöhnung und stossen den strukturellen Wandel an, indem sie eine kritische Auseinandersetzung mit Tabuthemen und die Nicht-Wiederholung fordern.
Wir begleiten die vielfältige Friedensarbeit von Frauen in allen Phasen in unterschiedlichen Kontexten und berücksichtigen dabei die spezifischen Bedürfnisse und Risiken. Wir sind überzeugt, wenn wir die Friedenswege gemeinsam mit Partnerinnen und betroffenen Frauen gehen, werden diese zwar nicht leichter, aber vielleicht kürzer.