Analyse: «Kleider machen Frauen?»: Überlegungen zum Akt der Entschleierung als politisches Programm

Das Thema «Verhüllungsverbot» und die anstehende Abstimmung dazu scheint Feminist*innen zu spalten. Wie kommt das? Was würde eine Annahme aus feministischer Sicht bedeuten? Kann eine in der Verfassung festgeschriebene Kleidervorschrift bestehende patriarchalische Strukturen anfechten? Oder ist diese Abstimmung reine Symbolpolitik? FriedensFrauen Weltweit fragt in diesem Text nach den möglichen längerfristigen Folgen einer Annahme der Initiative und den dahinterliegenden Diskursen.

Die Initiative kommt aus rechtsbürgerlich-konservativen Kreisen. Spätestens seit 2000 ist Verschleierung ein Thema, das eben diese Kreise in öffentlichen Debatten gerne bewirtschaften. Hinter der Debatte verbirgt sich eine komplexe Verstrickung sehr unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Absichten. Gegenstand der Debatte ist der Körper bzw. der Kopf der Frau und ihre Möglichkeit diesen zu verdecken. Geht es um Schutz der Frau oder um die Instrumentalisierung ihres Körpers für andere Zwecke?

Diskriminierung wird legitimiert

Die Instrumentalisierung des Frauenkörpers zur Umsetzung patriarchalischer Politik hat eine lange Geschichte. Auch die Schweiz ist kein Paradies der Gleichstellung und Gendergerechtigkeit, was die Initiative aber suggeriert. Hier wird ein Paket voller Stereotypen geschnürt, um geschlechterspezifische Ungleichheiten, wie sie unsere Gesellschaft kennzeichnen, dem «Fremden» zuzuschreiben. Mit dieser Verrückung nach Aussen, in die Schublade des muslimischen Patriarchats, wird aber vor allem Diskriminierung legitimiert – dies auch losgelöst der Kopfbedeckung einiger weniger Frauen.

Rechtskonservative Exponentinnen setzen sich als Befreierinnen unterdrückter Frauen in Szene. Die versteckte Nachricht ist eine andere: symbolpolitisch schlau enteignen sie die Menschen mit Kopfbedeckung ihrer Subjektivität. Deren individuelle Entscheidung, deren Recht auf die Selbstbestimmung des Kleidertypus interessieren sie nicht. Vergessen wir nicht, dass die Initiant*innen mit ihrem ultra-konservativen, rechts-nationalistischen Programm, das u.a. eine rassistische Migrationspolitik umfasst, alles andere als eine geschlechtergerechte Politik verfolgen.

Rückschritt für eine liberale Gesellschaft

Die Interessen und Parolen sind zwar divergent, doch der rassistische Diskurs der Initiative scheint sowohl rechtskonservativen als auch liberalen Kreisen Vorteile zu bringen. Zum einen ist die Initiative ein Mittel zur Rechtfertigung nationalistischer Projekte in der Migrations- oder Sicherheitspolitik. Zum anderen sind es Neoliberalist*innen, die möglichst viel Nutzen aus der billigen Arbeitskraft migrantischer von Rassismus betroffener Menschen ziehen, sich indes nicht am sozialstaatlichen Aufwand beteiligen wollen.

Ist nun aber ein Verhüllungsverbot ein Schritt in diesem Prozess der Befreiung von, in diesem Fall muslimischen, Frauen oder aber ein Rückschritt in der liberalen Entwicklung unserer Gesellschaft? Feministinnen sind gespalten. Auf der einen Seite stehen die Befürworterinnen, die mit einem Verbot Frauen schützen wollen. Auf der anderen Seite stehen die Gegner*innen, die hinter die Befürwortung ein gewagtes Spiel mit dem Feuer sehen, das die Grundrechte bedroht und rassistische Diskurse befeuert, und die daher den Blick auf grössere Zusammenhänge werfen wollen. (Lesen Sie dazu die Stellungnahme für eine Nein zur Initiative von FriedensFrauen Weltweit und cfd.)