Geschichte
Unsere Geschichte beginnt mit einer mutigen und visionären Idee: 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis nominieren, um der weltweiten Friedensarbeit von Frauen mehr Sichtbarkeit und Anerkennung zu verschaffen.
Wenn der Frieden in Afghanistan scheitert, verlieren die Frauen die Fortschritte, die sie seit dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes mühsam errungen haben. Sima Samar, Koordinatorin für FriedensFrauen Weltweit in Afghanistan und Mitglied der Regierung, fordert, dass Frauen den Frieden und die Zukunft ihres Landes mitgestalten können. Dafür hat sie einen hohen Preis bezahlt. Doch sie bleibt standhaft und vorsichtig hoffnungsvoll.
Sie entfernt ihr Kopftuch, dann ihren Mantel – und enthüllt ein Hemd, auf dem prangt: «So sieht eine Feministin aus.» Das entspricht nicht unbedingt den Erwartungen bezüglich Kleidung einer afghanischen Frau. Aber die Aussage verdeutlicht, was für eine Frau Sima Samar ist: engagiert, unerschrocken und unumwunden feministisch.
Sima Samar ist Sondergesandte für Menschenrechte und Staatsministerin für Internationale Angelegenheiten in der afghanischen Regierung. Als Koordinatorin von FriedensFrauen Weltweit hat sie mehrere FrauenFriedensTische in Afghanistan organisiert. Seit Jahrzehnten setzt sie sich für Menschen- und Frauenrechte ein: Während der Herrschaft der Taliban eröffnete die Ärztin geheime Schulen für Mädchen und in Pakistan das erste Frauenkrankenhaus. Nach dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes war sie die erste Vizepräsidentin und die erste Ministerin für Frauenangelegenheiten in der Übergangsregierung. Sie ebnete Mädchen den Weg zurück in die Schule und Frauen in die Arbeitswelt. Als langjährige Vorsitzende der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission gelang es ihr, die Menschenrechte in diesem konservativen und von Konflikten betroffenen Land zu fördern und zu schützen. Sie zahlt einen hohen Preis für ihr Engagement für Geschlechtergerechtigkeit. Aufgrund von Morddrohungen wird sie in einem gepanzerten Fahrzeug gefahren. Bodyguards beschützen sie 24 Stunden am Tag. Viele der von ihr eröffneten Schulen und Kliniken wurden angegriffen oder geplündert. Doch sie sagt: «Die Arbeit, die ich mache, ist nichts Besonderes. Nur das Umfeld, in dem ich arbeite, ist schwierig.» Das war auch ihre Reaktion, als sie 2012 den alternativen Friedensnobelpreis, den Right Livelihood Award, erhielt.
«Man kann nicht die Hälfte der Bevölkerung ausschliessen»
Afghanische Frauen konnten in den vergangenen 18 Jahren verlorene Freiheiten wenigstens teilweise zurückerobern. Die Geschlechtergleichstellung ist inzwischen in der Verfassung verankert und ein Gesetz verbietet Gewalt gegen Frauen. In Bildung und Wirtschaft, im Gesundheitswesen und in der Politik sind die Fortschritte beträchtlich – aber sie sind zerbrechlich. Damit die Gesetze für afghanische Frauen zur gelebten Realität werden, ist noch einiges an Arbeit nötig. Vieles hing von den Friedensverhandlungen zwischen den USA und den Taliban ab, die im September abrupt zum Stillstand kamen. Vor Redaktionsschluss war unklar, ob sie fortgesetzt werden. Zu Beginn der Verhandlungen sass keine einzige Frau am Tisch. Frauengruppen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivistinnen wie Sima Samar drängten auf die Einbeziehung von Frauen, von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen und der Zivilgesellschaft. Dank ihrer hartnäckigen Fürsprache nahmen einige Frauen an den letzten Friedensgesprächen teil. Wie bedeutungsvoll ihr Einfluss tatsächlich war, bleibt fraglich.
Unbestritten ist, dass «man nicht die Hälfte der Bevölkerung von den Friedensverhandlungen ausschliessen kann», wie Sima Samar sagt. «Das ist kein Frieden». Sollte es zum geplanten innerafghanischen Dialog kommen, müssen Frauen daran teilhaben, sonst «wird der Friedensprozess unvollständig sein». Sie weist Argumente zurück, die von vielen Männern vorgebracht werden: Frauen sollten auf Rechte verzichten, damit ein Friedensvertrag zustande kommt oder das Ende des Blutvergiessens habe Vorrang vor Frauenrechten. «Wenn wir unser Recht, das anzuziehen, was wir wollen, oder unsere Bewegungsfreiheit aufgeben müssen, ist das kein Frieden für uns», sagt sie. «Frieden heisst, in Würde zu leben und Zugang zu den gleichen Rechten zu haben.»
Wichtige FrauenFriedensTische
Die FrauenFriedensTische spielen jetzt eine wichtige Rolle. Der letzte FriedensTisch wurde von der Gawharshad Universität organisiert, die von Sima Samar gegründet wurde. Am FriedensTisch konnten Frauen darüber diskutieren, warum Frieden mehr ist als nur die Abwesenheit von Krieg oder ob Frieden ohne Gerechtigkeit nachhaltig sein kann. «Die FrauenFriedensTische sind sehr wichtig. Wir brauchen mehr solche Programme, vor allem mit Studentinnen und Studenten», sagt Sima Samar. «Sie kommen aus verschiedenen Teilen des Landes und bringen das dort Gelernte zurück in abgelegene Gebiete, wo sie als Agentinnen und Agenten des Wandels wirken können.»
Lesen Sie Interviews mit Sima Samar hier und unter Medienspiegel.