16.10.2024, Veranstaltung «Women Sustaining Peace»: Ein umfassendes Bild der feministischen Friedensförderung

Drei verschiedene Länder und Kontexte, jedes mit unterschiedlichen Friedensabkommen und Herausforderungen bei der Umsetzung. Und doch fanden die drei Frauen unserer Partnerorganisationen aus Kolumbien, Nepal und den Philippinen viele Gemeinsamkeiten:  in den Erfahrungen und Erkenntnissen von Friedensaktivistinnen und in den Voraussetzungen für die Erhaltung des Friedens. An einer öffentlichen Podiumsdiskussion in Bern sprachen die Frauen über die Bedeutung feministischer Prinzipien in der Friedensförderung, insbesondere um einen Rückfall in bewaffnete Gewalt zu verhindern. Sie sprachen auch über sichere Räume und Selbstfürsorge für Aktivistinnen und darüber, das Ziel – nachhaltigen Frieden – nicht aus den Augen zu verlieren.

Friedensarbeit funktioniert nicht im Alleingang. Sie braucht die kollektive Stärke von Friedensaktivistinnen. Wir glauben an den Frieden im Alltag und an die Werte, die wir in unserer Arbeit vertreten.»

— Trishna Thapa

«Einige der Zusammenhänge sind Ihnen vielleicht bekannt. Vielleicht haben Sie schon von der ‘Frauen, Frieden und Sicherheit’- Agenda gehört oder Sie suchen selbst nach neuen und innovativen Wegen, um Frieden zu schaffen und zu erhalten. Wir hoffen, Ihnen heute Abend neue Impulse bieten zu können.» Mit diesen Worten eröffnete unsere Direktorin Deborah Schibler die Veranstaltung «Women sustaining peace in Colombia, Nepal and the Philippines: dealing with the past, transforming the present, summiting the future» am 16. Oktober 2024 in Bern. Die Veranstaltung war der Höhepunkt einer Woche voller Impulse und Verknüpfungen.

Wir haben Zully Meneses, Direktorin von Corporación Comunitar in Kolumbien, Trishna Thapa, stellvertretende Geschäftsleiterin von Nagarik Aawaz in Nepal, und Karen Tañada, Geschäftsleiterin des GZO Peace Institute (GZOPI) in den Philippinen, nach Bern eingeladen, um gemeinsam die nächsten Jahre unserer langjährigen Programme in den drei Ländern zu planen. Wir haben sie auch nach Bern eingeladen, um der feministischen Friedensförderung in Ländern, in denen bewaffnete Konflikte offiziell beendet wurden, mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Bei der Veranstaltung hoben die Frauen sowohl die Erfolge als auch die Herausforderungen hervor, mit denen Aktivistinnen konfrontiert sind. Sie gaben Einblicke, wie Friedensbemühungen langfristig aufrechterhalten werden können und zeigten auf, was Friedensaktivistinnen tun können, um ihre Motivation und ihren Fokus aufrechtzuerhalten. Ihre Erkenntnisse, Erfahrungen und Ratschläge bildeten ein vielschichtiges Bild feministischer Friedensarbeit.

Während Kolumbien 2016 offiziell ein Friedensabkommen mit den FARC-EP unterzeichnet hat (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Ejército del Pueblo), dauern die Verhandlungen mit der ELN (Ejército de Liberación Nacional) und anderen bewaffneten Gruppen an – für viele Menschen in Kolumbien ist der Frieden nach wie vor unerreichbar. Das Friedensabkommen in Nepal wurde 2006 unterzeichnet. Achtzehn Jahre später ist die Umsetzung des Abkommens nach wie vor fragil und unvollständig. In den Philippinen ist seit der Unterzeichnung des Comprehensive Agreement on the Bangsamoro ein Jahrzehnt vergangen. Obwohl es gelungen ist, einige feministische Perspektiven in die Prozesse der Übergangsjustiz einzubeziehen, bleibt es eine Herausforderung, diese Prozesse als nationale und nicht nur als regionale Chance zu begreifen.

Was Friedensaktivistinnen erreicht haben

Keines der Länder kann eine lineare oder rasche Umsetzung der Friedensabkommen vorweisen, doch Corporación Comunitar, Nagarik Aawaz und GZOPI, die zusammen auf fast 100 Jahre Erfahrung in der Friedensförderung zurückblicken, haben Erfolge vorzuweisen – viele davon dank Aktivistinnen und zugunsten von Frauen, LGBTIQ+-Personen, indigenen Gemeinschaften und der Gesellschaft insgesamt.

Im nepalesischen Friedensabkommen wurden Frauen, die sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit dem Konflikt erlebt haben, nicht ausdrücklich anerkannt. Erst durch den beharrlichen Einsatz der Zivilgesellschaft wird sexualisierte Gewalt im bewaffneten Konflikt heute als schwere Menschenrechtsverletzung anerkannt. Die Regierung hat ihre Wahrnehmung von Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, geändert, sagte Trishna. Nagarik Aawaz unterstützt Kommunalverwaltungen dabei, «Lösungen für von Konflikten betroffene Gemeinschaften zu finden, da sie Teil der grösseren Gemeinschaft sind». Sie beschrieb auch einen Wandel: Während Frauen früher bemitleidet oder, schlimmer noch, für das, was ihnen widerfahren war, verantwortlich gemacht wurden, sind sie heute respektierte Mitglieder ihrer Gemeinschaften.

«Nach der Unterzeichnung eines Abkommens, kann es Jahre dauern, bis es vorankommt», sagte Karen, eine langjährige philippinische Aktivistin. GZOPI unterstützt Frauen in konfliktbetroffenen Gebieten dabei, die Umsetzung des Friedensabkommens von 2014 voranzutreiben. Den Frauen wird die Möglichkeit gegeben, Gesetzesvorschläge für die Autonome Region Bangsamoro im muslimischen Mindanao zu prüfen und Änderungsvorschläge einzubringen. Sie entwerfen ihre eigene Agenda und lobbyieren bei Senator:innen und Kongressabgeordneten, damit die Perspektiven der Frauen auf Gerechtigkeit und Frieden berücksichtigt werden. «Bangsamoro ist eher traditionell geprägt», sagt Karen, «aber selbst in diesem Kontext erhalten Frauen eine Stimme und setzen sich durch.»

In Kolumbien seien Frauen auf allen Ebenen der Gesellschaft «unsichtbar» gewesen, so Zully. «Dank der Frauenbewegung haben wir einige Erfolge erzielt.» Ein Schwerpunkt liege darin, sicherzustellen, dass Frauen zu Friedensabkommen beitragen können und ein umfassendes Verständnis für die Funktionsweise von Institutionen und Prozessen entwickeln, um ihre Beteiligung gezielt zu stärken. Ein wichtiger Beitrag, den FriedensFrauen Weltweit unterstützte, bestand darin, die Erfahrungsberichte von Frauen aus der Zeit des bewaffneten Konflikts zu sammeln. Sie hatten die Möglichkeit, sich zu melden und an der Wahrheitskommission teilzunehmen, um sicherzustellen, dass ihre Stimmen und Geschichten in den Schlussbericht aufgenommen wurden und so Teil der kolumbianischen Geschichte werden.

Laut Zully war es eine besondere Herausforderung, indigene und afrokolumbianische Frauen sowie Frauen aus ländlichen Gebieten zu erreichen. Doch auch sie hätten ihre anfängliche Zurückhaltung überwunden und ihre Geschichten von Krieg und Resilienz geteilt. «Wir haben Jahrzehnte der Gewalt hinter uns und schaffen jetzt mit der Unterstützung von Frauen Frieden. Wir müssen Frauen auf eine Ebene bringen, auf der sie sich beteiligen und Zugang zu schwer erreichbaren Räumen erhalten können.»

Wie sie Motivation und Fokus aufrechterhalten

Die Phase, in der Friedensabkommen umgesetzt werden, ist entscheidend, um den Grundstein für nachhaltig friedliche Gesellschaften zu legen. Deborah nannte die erforderlichen «Schlüsselelemente»: Die Voraussetzungen für langfristige Friedensbemühungen müssen gegeben sein; die Handlungsfähigkeit der Frauen muss unterstützt werden, um ihre Beteiligung an der Friedensförderung sicherzustellen; und die Aktivistinnen dürfen die politischen Ziele nie aus den Augen verlieren. Auf der Grundlage ihrer umfassenden kollektiven Erfahrung teilten die drei Frauen wertvolle Tipps, wie sich Motivation und Fokus aufrechterhalten lassen.

Sichere Räume für Frauen, in denen sie Netzwerke aufbauen, Strategien entwickeln und Vorschläge ausarbeiten, Kraft schöpfen, Traumata teilen und heilen können, erwiesen sich als Schlüsselfaktor, der von allen drei Frauen an der Veranstaltung erwähnt wurde. In Kolumbien geht die «Remilitarisierung des Landes» damit einher, dass Frauen in traditionelle Rollen zurückgedrängt werden. Die Gewalt gegen Frauen ist nach wie vor sehr hoch, insbesondere gegen Frauen, die Führungspositionen einnehmen. «Wir nutzen sichere Räume, damit Frauen den Kampf fortsetzen, aber vielleicht weniger öffentlich», sagte Zully. «Wir müssen zusammenarbeiten, um Netzwerke zu schaffen», fügte sie hinzu. Sichere Räume sind in einem Kontext, in dem Reformen noch nicht umgesetzt wurden und Gewalt weit verbreitet ist, von entscheidender Bedeutung.

Die Regierungswechsel waren für Friedensaktivistinnen auf den Philippinen eine Herausforderung. Karen zitierte ein Sprichwort, das darauf hinweist, wie wichtig es ist, sich an die Vergangenheit zu erinnern. «Was war die Wahrheit? Was waren die Kämpfe? Mit dem Sohn von [dem philippinischen Diktator Ferdinand] Marcos als Präsident ist es wichtig, an den Wahrheiten festzuhalten. Es hilft, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.» In einem kulturell vielfältigen Land mit der «Tendenz, das Ethnische zu betonen», seien Bemühungen «für Solidarität und Schwesternschaft» wichtig. Sich auf die politischen Ziele zu konzentrieren, hilft zu verdeutlichen, dass «es nicht nur um ‘meine' Familie und ‘meine’ Ziele geht», sondern darum, das Gesamtbild nicht aus dem Fokus zu verlieren.

Nagarik Aawaz bezieht «lokal akzeptierte und definierte feministische Prinzipien» in seine Arbeit mit Gemeinschaften ein, darunter auch mit denen, die Opfer des bewaffneten Konflikts wurden, und mit denen, die als Kämpfer:innen daran beteiligt waren, erklärte Trishna. Der Austausch innerhalb und zwischen den Gemeinschaften ist Teil der langfristigen Friedensarbeit, die sicherstellt, dass die Menschen einander und dem Prozess vertrauen und daran glauben, dass es eines Tages echten Frieden geben wird.

 

Wie die Handlungsfähigkeit von Frauen gestärkt wird

Ohne Friedensaktivistinnen – oder «Akteurinnen des Friedens» («agents of peace»), wie Deborah sie nannte – gibt es keinen Frieden. Wie können wir als Gesellschaft und als Friedensorganisationen Frauen dabei unterstützen, ihre Handlungsfähigkeit zu stärken, also ihre Fähigkeit, aktiv zu werden oder selbst zu entscheiden, welche Massnahmen sie ergreifen wollen?

«Feministische Grundsätze können uns in unserer Arbeit und unseren politischen Bemühungen unterstützen», sagte Karen. Diese Grundsätze fördern Friedensprozesse, die inklusiv sind, alle Betroffenen einbeziehen und intersektional gestaltet werden. Manchmal, fügte Karen hinzu, «muss man einfach beharrlich bleiben». Nagarik Aawaz hat mehrere Strategien geprüft, um die Handlungsfähigkeit von Friedensaktivistinnen zu stärken, unter anderem durch generationenübergreifende Treffen. «Es ist sehr wichtig, wie Frauen sich selbst sehen», fügte Trishna hinzu. Sie unterstützen heisst, sie in die Lage zu versetzen, ihre eigene Kraft zu erkennen, um Veränderungen zu bewirken.

Angesichts der zahlreichen Herausforderungen in Kolumbien sind Aktivistinnen «ständig damit beschäftigt, Brände zu löschen», sagte Zully. «Wir widmen uns diesen Bewegungen mit Leib und Seele, also müssen wir auch ‘egoistisch' sein, um auf uns selbst aufzupassen.» In einer Kultur, in der es darum geht, dass Frauen sich um andere kümmern, ist Selbstfürsorge ein feministischer Akt.

«Friedensarbeit funktioniert nicht im Alleingang», sagte Trishna am Ende der Veranstaltung. «Sie braucht die kollektive Stärke von Friedensaktivistinnen. Wir tun es von ganzem Herzen. Wir glauben an den Frieden im Alltag und an die Werte, die wir in unserer Arbeit vertreten.»

Bern, October 2024

In einer Kultur, in der es darum geht, dass Frauen sich um andere kümmern, ist Selbstfürsorge ein feministischer Akt.

— Zully Meneses

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