FrauenFriedensTisch: Kolumbien: «Der einzige Weg ist Frieden»

Frauen stehen in einem Kreis an einem FrauenFriedensTisch in Kolumbien

Von Konflikten betroffene Frauen aus vier verschiedenen Regionen nahmen im Sommer 2023 an einem FrauenFriedenstisch in Popayán im Süden Kolumbiens teil. Am zweitägigen Treffen, das von unserer Partnerorganisation Comunitar organisiert wurde, ging es darum, einen Raum für den Erfahrungsaustausch unter den Frauen zu schaffen und ihre Kenntnisse über die Übergangsjustiz und Versöhnung zu vertiefen. Unsere Programmverantwortliche Karin Widmer war dabei.

Es ist früher Morgen in einem Viertel in der Nähe von Popayán. Die Frauen kommen an, einige aus der Nähe, viele aus entlegenen Regionen wie Santander oder Putumayo. Sie sind mit dem Auto oder dem Bus angereist, einige zu Fuss. Der Veranstaltungsort für den FrauenFriedensTisch (FFT) mit seinem grünen Garten und der weissen Halle ist erfüllt von Lachen und freudigen Begrüssungen derjenigen, die sich wiedersehen oder zum ersten Mal dabei sind. Einige der Frauen ergänzen das bunte Mandala, das unsere Partnerorganisation Comunitar vorbereitet hat. Alle sind begierig darauf, zu beginnen.

Die mehr als 100 Teilnehmer:innen, Mitarbeiter:innen und Referent:innen bilden einen Kreis um das Mandala, das mit Blumen, Kerzen, bunten Steinen und Schmetterlingen geschmückt ist. Das Mandala ist das Logo des FFT: das Gesicht einer Frau. Comunitar integriert den psychosozialen Ansatz in alle ihre Aktivitäten; er ist Teil des institutionellen Profils dieser ökofeministischen Nichtregierungsorganisation. Wir halten uns an den Händen, schliessen die Augen und beginnen damit, uns mit dem ersten «Territorium des Friedens» zu verbinden: unserem Körper. Eine Mitarbeiterin von Comunitar, eine Psychologin, ermutigt uns, uns mit uns selbst zu verbinden. So sind wir befähigt und bereit, uns mit anderen zu verbinden und uns den Realitäten der anhaltenden Konflikte in Kolumbien zu stellen.

Verbunden durch Friedensengagement

Die Frauen bilden eine vielfältige Gruppe: Sie beschreiben sich selbst als Bäuer:innen, Afrokolumbianer:innen, Indigene, Student:innen, Mitglieder der LGBTIQ+-Gemeinschaft und als Landfrauen aus konfliktbetroffenen Gebieten. Was verbindet sie? Sie alle sind von den verschiedenen Konflikten in Kolumbien betroffen, die trotz des Friedensabkommens mit den FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) aus dem Jahr 2016 anhalten, und sie alle sind engagierte Friedensaktivistinnen.

Ein Ziel des FFT ist es, das Wissen der Frauen über die Mechanismen der Übergangsjustiz (Transitional Justice, TJ) mit Unterstützung von Fachleuten der Friedenskommission der Universität Cauca und der regionalen Niederlassung der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP, Jurisdicción Especial para la Paz) zu vertiefen. Die JEP ist Teil des Umfassenden Systems für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung (Umfassendes System für den Frieden), das mit dem Friedensabkommen von 2016 geschaffen wurde. Sie hat die Aufgabe, die Übergangsjustiz zu gewährleisten und sich mit Verbrechen während des bewaffneten Konflikts zu befassen, insbesondere mit Verbrechen, die schwere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte darstellen. Erklärtes Ziel der JEP ist es, das Recht der Opfer auf Gerechtigkeit zu erfüllen und ihre Rechte zu schützen, der kolumbianischen Gesellschaft Wahrheit bereitzustellen und zu einem stabilen und dauerhaften Frieden beizutragen.

Politische Beteiligung entscheidend

Während des FFT erklären die Referentinnen, welche Rechte die Frauen haben und wie sie die Mechanismen der Übergangsjustiz nutzen können. JEP arbeitet mit Organisationen wie Comunitar zusammen, um eine gleichberechtigte und vielfältige Vertretung von Frauenstimmen und -erfahrungen bei der Aufarbeitung der kolumbianischen Vergangenheit und bei der Suche nach restaurativer Gerechtigkeit («restorative justice») sicherzustellen. Die Frauen erfahren, wie sie sich in diese Prozesse einbringen können. In ihren Diskussionen entwickeln sie Strategien, wie sie in dieser Zeit der Übergangsjustiz eine starke Stimme werden und zur Gerechtigkeit beitragen und diese einfordern können. Sie sind sich darüber im Klaren, dass es nicht ausreicht, dass Frauen an Friedensprozessen teilnehmen, sondern dass ihre politische Beteiligung entscheidend ist, um die geschlechtsspezifischen Ziele der Übergangsjustizmechanismen sicherzustellen.

Es sind Erkenntnisse wie diese und die Strategien, die sich aus den Diskussionen am FFT ergeben, die den gemeinsamen Raum während der beiden Tage prägen: «Wir brauchen diese FriedensTische», sagt eine Teilnehmerin. «Wir müssen verstehen, wie das Umfassende System funktioniert. Und wir müssen proaktive Werkzeuge für den Paz Total [Totaler Frieden] lernen. Wie können wir Vermittlerinnen sein?»

Harte Realitäten: Feminizide

Während des FFT werden jedoch auch die harten Realitäten in den Regionen deutlich. «Wir reden über Frieden, aber in unseren Territorien herrscht immer noch Krieg», sagt eine Frau. Diana Granados, die Referentin von der Universität Cauca, hält inne und schreitet dann in die Mitte des Raumes, um eine Geschichte vom Vorabend zu erzählen. Sie war in ihrem Zimmer und bereitete eine Analyse der Errungenschaften des Friedensprozesses von 2016 und der Beteiligung von Frauen an diesen Prozessen vor. Plötzlich: vier Schüsse. Sie rannte auf die Strasse, um zu sehen, was los war. Kurz darauf erfuhr sie, dass eine junge Frau von einem Mann erschossen worden war. Ein weiterer Feminizid in Kolumbien. «Ich bereitete also diesen Vortrag über Frieden vor, und nebenan wurde eine Frau getötet. Das ist unsere tägliche Realität», sagt Diana.

Doch die Frauen setzen sich trotz der Gefahren und Rückschläge weiter für den Frieden ein. Sie schöpfen Hoffnung aus Zusammenkünften wie diesem FFT: «Ich fühle mich jeden Tag stärker. Diese Treffen lassen jede von uns weiterwachsen», meint eine Teilnehmerin. Die Frauen sind sich einig: «Der einzige Weg ist der Frieden.»

Wir bilden einen weiteren Kreis, um den FFT zu beenden. Wir halten uns wieder an den Händen und verbinden uns mit unseren Körpern. Ich spüre den Mut der Frauen, ihr Mitgefühl, ihren Schmerz und ihr Engagement, den Weg des Friedens weiterzugehen. Und ich erinnere mich an ein Wandgemälde, das ich in einem Dorf im Cauca gesehen habe: «La Paz comienza con una sonrisa.» Der Frieden beginnt mit einem Lächeln.

Eine spanische Version dieses Beitrags ist als Download verfügbar.