30.07.2024, Interview mit Rabab Baldo: Sudan: «Wir Frauen werden nie konsultiert»

Rabab Baldo ist eine sudanesische Friedens- und Gender-Aktivistin

Seit April 2023 ist der Sudan in einen brutalen Konflikt zwischen den sudanesischen Streitkräften und den Rapid Support Forces verwickelt. Infolgedessen wurden Zehntausende von Menschen getötet, zwölf Millionen wurden vertrieben, und es droht eine Hungersnot. Am 24. Juli 2024 luden die Vereinigten Staaten die sudanesischen Streitkräfte und die Rapid Support Forces zu Friedensgesprächen in die Schweiz ein, die am 14. August stattfinden sollen. Bislang sind ähnliche Initiativen für einen Waffenstillstand gescheitert. Die prominente sudanesische Mediatorin und Friedensaktivistin Rabab Baldo ist Mitglied unseres globalen Netzwerks Feminists Connecting for Peace. Sie verfügt über jahrzehntelange Erfahrung im Einsatz für einen gerechten Frieden im Sudan und erklärt, was geschehen muss, damit die Gespräche in der Schweiz erfolgreich sind.

Wir Frauen versuchen ständig, unser Land zu retten, aber wir werden nie konsultiert, und dafür zahlt der Sudan einen hohen Preis.

— Rabab Baldo, Friedensaktivistin und Mediatorin

FriedensFrauen Weltweit: Was sind deine Hoffnungen und Erwartungen an diese Verhandlungen?
Rabab Baldo: Wir befinden uns nun im zweiten Jahr des Krieges und es gibt keinen einzigen Tag ohne Schusswechsel. Der Krieg weitet sich aus, die Menschen wurden mehrfach vertrieben. Das sudanesische Volk, und insbesondere die Frauen, leiden enorm. Frauen wurden versklavt und sind sexualisierter und anderer Gewalt ausgesetzt. Beide Seiten begehen massive Menschenrechtsverletzungen. Was ich jetzt will, ist ein dauerhaftes und umfassendes Waffenstillstandsabkommen. Dieses Mal muss es richtig gemacht werden.

 
Was bedeutet das? Was muss geschehen, damit diese Verhandlungen erfolgreich sind?
Umfassend bedeutet, dass andere Interessengruppen – darunter Frauen, junge Menschen, die Zivilgesellschaft und Menschen mit Behinderungen – in den Prozess miteinbezogen werden müssen. Vor einigen Monaten habe ich zusammen mit über 26 sudanesischen Organisationen und Netzwerken eine «Shuttle-Diplomacy-Initiative» ins Leben gerufen, um Friedensaktivistinnen in verschiedene Länder zu entsenden, damit sie sich für Frieden und Schutz im Sudan einsetzen. Auch die Schweiz hat Mitte Juli zwei sudanesische Delegierte empfangen. Jetzt setzen wir uns dafür ein, dass Frauen ein fester Bestandteil dieser Waffenstillstandsgespräche sind. Warum erwarten alle, dass die Männer, die kämpfen, in der Lage sind, Frieden zu schliessen? Die Belange der Zivilbevölkerung, der Frauen, müssen im Mittelpunkt dieser Gespräche stehen. Die weit verbreitete sexualisierte Gewalt gegen Frauen, die Besetzung öffentlicher Einrichtungen – wie Krankenhäuser – durch bewaffnete Truppen muss angesprochen werden. Wenn die Zivilbevölkerung nicht einbezogen wird, werden wir die Fehler früherer Vermittlungsbemühungen wiederholen.

Was soll die Schweiz tun?
Die Schweiz ist ein Land, welches das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsstandards respektiert; sie ist Sitz der UNO und des IKRK. Sie steht in vorderster Reihe bei den Bemühungen, die Rechte der Frauen weltweit zu verteidigen. Ich hoffe, dass die Schweizer Regierung die sudanesischen Frauen nicht im Stich lassen wird. Die Schweiz muss ihren Worten Taten folgen lassen und die sudanesischen Frauen einladen, sich am Friedensprozess zu beteiligen, und uns zeigen, dass sie den Erwartungen gerecht wird. Der Friedensprozess muss inklusiv sein.

Welche Rolle können Frauen im breiteren Sudan-Friedensprozess spielen – welche spielen sie bereits?
Der Sudan hat eine lange Geschichte des Krieges. Seit den 1990er Jahren arbeite ich daran, Frauen in den Friedensprozess einzubeziehen. Im Laufe der Jahre habe ich Frauen in allen Ecken und Regionen des Sudan erreicht. Frauen sind bereit, sich zu beteiligen, sie haben die Fähigkeiten und das Wissen, sich zu engagieren. Sie führen die Friedensinitiativen in ihren Gemeinschaften an, arbeiten für Versöhnung und gegen Spaltung. Auch in diesem Krieg sind sie die treibende Kraft in der humanitären Hilfe – und werden dafür zur Zielscheibe. Doch wird ihnen immer wieder die Möglichkeit verwehrt, sich an formellen Prozessen zu beteiligen. Wir Frauen versuchen ständig, unser Land zu retten, aber wir werden nie konsultiert, und dafür zahlt der Sudan einen hohen Preis. Im Rahmen der Shuttle-Diplomacy-Initiative haben wir nun ein Schattenfriedensabkommen auf der Grundlage der UNO-Resolution 1325 über Frauen, Frieden und Sicherheit entwickelt. Darin wird ein inklusives Friedensabkommen gefordert, das den Wünschen der sudanesischen Frauen entspricht. Wir haben es bereits der US-Regierung vorgelegt, aber niemand ist daran interessiert, uns zuzuhören und uns einzubeziehen. Denn die Waffenstillstandsgespräche werden als eine Männerdomäne angesehen. Den Frauen wird immer gesagt, sie sollen warten, Frauen und zivile Themen kommen immer später. Das muss sich jetzt ändern.

Rabab Baldo ist eine Gender- und Friedensaktivistin. Sie arbeitete als Senior Gender & Inclusivity Advisor und internationale Beraterin u.a. für das UNDP und Inclusive Peace. Sie diente auch als Sonderbeauftragte für Sudan und Südsudan bei UN Women und dem Office of the Intergovernmental Authority on Development  IGAD.

Dieses Mal muss es richtig gemacht werden

— Rabab Baldo auf swissinfo


Interview auf swissinfo

Krieg im Sudan: Wie Frauen den Friedensprozess in Genf beeinflussen wollen: In diesem Beitrag auf swissinfo zu den Verhandlungen in Genf erläutert Rabab Baldo, wie Sudanesinnen für den Frieden arbeiten und unsere Geschäftsleiterin Deborah Schibler erklärt, welche Auswirkungen die Partizipation von Frauen auf Friedensprozesse hat.

Der Beitrag ist in sechs Sprachen verfügbar, darunter Englisch, Französisch, Arabisch und Spanisch.

Interview auf NADJA

Rabab Baldo wurde von der internationalen News-Plattform NADJA interviewt. Im Beitrag "Just let us live: Sudan's war and women's vital role in peacebuilding" erfahren Sie mehr über die Rolle von Frauen in der Friedensförderung im Sudan .

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