Soziale Medien bieten Aktivist:innen eine globale Plattform für ihre Arbeit und ihre Botschaften. Frauen, die sich prominent für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, erleben jedoch schnell eine oft gewalttätige Gegenreaktion sowohl im virtuellen als auch im physischen Raum. An einer Veranstaltung, die wir am 1. April 2025 gemeinsam mit der kanadischen Botschaft in Bern organisiert haben, sprachen die sudanesische Friedensaktivistin und Gender-Expertin Rabab Baldo und die kolumbianische Menschenrechtsanwältin Luz Marina Monzón Cifuentes darüber, wie Cyberangriffe Teil einer umfassenderen Strategie sind, um Frauen wie sie zum Schweigen zu bringen.
Nach der Vorführung des kanadischen Dokumentarfilms «Backlash, Misogyny in the Digital Age» hatten die Zuschauerinnen und Zuschauer die Möglichkeit, Fragen an die beiden Frauen zu stellen. Wir haben versprochen, diese an Rabab und Luz Marina weiterzuleiten und ihre Antworten zu veröffentlichen. Hier sind sie.
Zuschauerin: Was können wir als Einzelpersonen gegen Cybermobbing tun?
Rabab Baldo: Cybermobbing wird oft als Mittel eingesetzt, um Frauen zum Schweigen zu bringen und ihren Spielraum in der Politik und bei der Friedensförderung einzuschränken. Viele Frauen sorgen sich um ihr Image und ihren Ruf, was sie besonders verwundbar macht. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir zunächst verstehen, dass man sich mit der Übernahme öffentlicher Ämter zwangsläufig Gegner schafft – Menschen, die wir vielleicht nicht kennen, die uns aber kennen.
Die beste Verteidigung besteht darin, Selbstvertrauen aufzubauen und uns selbst, unsere Familien und unsere Freunde darauf vorzubereiten, dass dies Teil des Weges ist, den wir gehen, wenn wir uns für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte einsetzen. Unsere Stimmen fordern Kriegsherren, nationale Sicherheitsapparate und diejenigen heraus, die von der Aufrechterhaltung von Konflikten profitieren. Und genau deshalb müssen wir weiterhin unsere Stimme erheben.
Luz Marina Monzón Cifuentes: Als Einzelpersonen müssen wir uns meiner Meinung nach zunächst einmal bewusst machen, was Cybermobbing bedeutet und welche Auswirkungen es auf das Leben der Betroffenen hat. Zweitens müssen wir Massnahmen ergreifen, damit wir nicht Teil des Cybermobbings werden.
Ich halte es auch für wichtig, sich aktiv an der Prävention von Cybermobbing zu beteiligen, indem man sich an kurz- und langfristigen Kampagnen beteiligt, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, was diese Art von Gewalt gegen Menschen bedeutet und welche Auswirkungen sie auf das persönliche, soziale und gemeinschaftliche Leben hat. Wir müssen versuchen, die Auswirkungen solcher Mechanismen der Ausgrenzung, Diskriminierung und Ächtung auf die Ausübung unserer Rechte und Freiheiten und damit auf die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verstehen.
Zuschauer:in: Wie kann sich jede:r Einzelne von uns vor Cybergewalt schützen? Was kann helfen?
Rabab: Um uns vor Cybergewalt zu schützen, brauchen wir im Idealfall starke Justizbehörden, die Ermittlungen durchführen und die Täter zur Rechenschaft ziehen können. In Ländern wie dem Sudan sind jedoch oft genau die Institutionen, die uns schützen sollen – darunter auch die Sicherheitskräfte –, diejenigen, die uns ins Visier nehmen.
In solchen Situationen müssen wir unsere eigenen Schutzstrategien entwickeln. Ein Ansatz besteht darin, uns mental und emotional darauf vorzubereiten, uns nicht durch Cyberangriffe destabilisieren zu lassen, sondern sie als Teil einer umfassenderen Strategie zu erkennen, uns zum Schweigen zu bringen. Wenn Drohungen zu physischer Gewalt eskalieren, ist es unerlässlich, auf bewährte persönliche Sicherheitsmassnahmen zurückzugreifen. Der Aufbau von Unterstützungsnetzwerken, Wachsamkeit und die Dokumentation von Missbrauch können ebenfalls eine entscheidende Rolle beim Schutz unserer selbst und anderer spielen.
Luz Marina: Prävention ist die beste Form des Schutzes. Kampagnen oder Strategien zur Aufklärung über die Bedeutung von Gewalt in sozialen Netzwerken, die verwendeten Methoden und deren Zwecke sind unerlässlich, um eine kritische und aktive Haltung gegenüber dieser Art von Gewalt einzunehmen. Die Förderung des Austauschs in der Familie, im sozialen Umfeld, in der Gemeinschaft und im beruflichen Umfeld oder in den Mainstream-Medien ist ein Weg, um Cybermobbing als Strategie der Verfolgung und Gewalt gegen Menschen, die ihre Rechte wahrnehmen und Machtpositionen einnehmen, sichtbar zu machen.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, Cybermobbing in den Kontext zu stellen, in dem sich das Opfer befindet: politische Position, Medienpräsenz, Führungsrolle bei der Einforderung von Rechten, Identitäten, Land oder Gender, um nur einige zu nennen. Diese Analyse hilft zu verstehen, wo die Ursachen für Cybermobbing in einem bestimmten Fall liegen können, und eine fundierte Position oder Meinung einzunehmen.
Zuschauer:in: Wie kann man einem privilegierten Mann erklären, dass es noch viel zu tun gibt, um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen? Wie können wir Menschen sensibilisieren, die sich nie diskriminiert gefühlt haben und nie mit unsichtbaren Barrieren konfrontiert waren?
Rabab: Es ist unerlässlich, privilegierte Männer einzubeziehen – sie können mächtige Verbündete und Vorkämpfer für Veränderungen sein. Um diejenigen zu sensibilisieren, die noch nie Diskriminierung oder unsichtbare Barrieren erlebt haben, braucht es Empathie, Aufklärung und Erfahrungsberichte, die ihnen die Lebensrealität anderer Menschen vor Augen führen. In der Schweiz gibt es bereits ein starkes Bewusstsein und eine grosse Solidarität mit Menschen, die in Ländern wie dem Sudan und anderen Konfliktgebieten leiden. Es muss jedoch noch mehr getan werden. Die Partnerschaften der Schweizer Regierung mit Ländern, die Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, verletzen, müssen kritisch hinterfragt werden. Die starke feministische Aussenpolitik der Schweiz sollte mit ihren Entwicklungs- und Wirtschaftsinteressen in Einklang gebracht werden, indem sie Bedingungen für ihr Engagement gegenüber Regimes stellt, die Krieg und systemische Ungerechtigkeit schüren. Schweizerinnen und Schweizer können eine wichtige Rolle dabei spielen, ihre Regierung für ihre feministischen und menschenrechtlichen Verpflichtungen zur Rechenschaft zu ziehen. Sie können sich für die Umsetzung dieser Werte einsetzen und dafür sorgen, dass sie sich konsequent in der Aussenpolitik und den internationalen Partnerschaften der Schweiz widerspiegeln.
Luz Marina: Eine Möglichkeit, das Bewusstsein zu schärfen und Menschen zu sensibilisieren, die noch nie mit Ungleichheit, Vulnerabilität und Diskriminierung konfrontiert waren, besteht darin, ihnen zu vermitteln, was Cybermobbing nicht nur für die Lebensbedingungen der direkten Opfer dieser Art von Gewalt bedeutet, sondern auch für die Bedingungen für die sichere Ausübung von Rechten und Freiheiten in einer demokratischen Gesellschaft. Denn Angriffe oder Gewalt gegen Menschen, weil sie so handeln, sprechen oder leben, wie sie es wollen, sind Teil ihres Rechts auf Freiheit und Selbstbestimmung. Die Verweigerung, Einschränkung oder Verfolgung der Ausübung dieses Rechts hat Auswirkungen auf die Kultur und die Werte einer Gesellschaft. Diese Perspektive kann uns helfen zu verstehen, dass Cyberangriffe keine private oder individuelle Angelegenheit sind. Sie sind auch kollektiv und daher Teil des öffentlichen Interesses.
Zuschauer:in: Könnten Mütter Ihrer Meinung nach etwas tun, um ihre Söhne besser zu erziehen? Alle Männer hatten zumindest einmal eine Mutter. Ich verstehe nicht, warum so viele Männer so viel Hass gegenüber Frauen haben. Frauen sollten Männer viel mehr hassen, aber das ist nicht der Fall.
Rabab: Mütter spielen eine entscheidende Rolle bei der Prägung der Werte und Einstellungen ihrer Kinder, insbesondere in den ersten Lebensjahren, in denen die Kindererziehung oft stark von ihnen abhängt. Sie haben die grosse Chance, ihren Söhnen Gerechtigkeit, Empathie und Respekt gegenüber anderen Menschen zu vermitteln – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Identität. Indem sie ihren Söhnen diese Werte frühzeitig vermitteln, können Mütter ihnen helfen, zu Männern heranzuwachsen, die Vielfalt schätzen und die Schäden verstehen, die durch Diskriminierung und Ungleichheit entstehen. Dieses Bewusstsein kann schädliche Verhaltensweisen reduzieren, darunter auch Cybermobbing. Die Förderung des Respekts für die Vielfalt der Geschlechter und Generationen betrifft nicht nur die Beziehungen zwischen einzelnen Menschen, sondern trägt auch zum Aufbau friedlicherer Gemeinschaften und Gesellschaften bei, in denen alle Menschen in Würde und Sicherheit leben können.
Luz Marina: Meiner Meinung nach ist eine Werteerziehung von klein auf entscheidend. Diese Erziehung muss sich nicht nur in der Vermittlung von Bedeutungen ausdrücken, sondern auch in der Bedeutung, nach diesen Werten zu handeln. Vielleicht stösst eine direkte Auseinandersetzung mit diesem Thema auf Widerstand oder Gleichgültigkeit, weil junge Menschen ständig mit sozialen Medien verbunden sind und sich möglicherweise in Frage gestellt fühlen.
Cyberangriffe sind keine private oder individuelle Angelegenheit. Sie sind auch kollektiv und daher Teil des öffentlichen Interesses.
Informationen zum Anlass
Alle Informationen zum Anlass am 1. April 2025 zum Thema «Backlash: Misogynie im digitalen Zeitalter»
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