Lernaustausch in den Philippinen: Hoffnung und Inspiration für die Friedensarbeit

Austausch in Philippinen

Es war ein Austausch der besonderen Art, den wir im Dezember in den Philippinen mit unseren Partner:innen organisieren konnten: Zwei Vertreterinnen der Gender-Arbeitsgruppe der kolumbianischen Wahrheitskommission tauschten ihre Erfahrungen an verschieden Anlässen mit philippinischen Friedensaktivist:innen aus. Aus diesen Begegnungen entstanden viele Moment des Erkennens und Verstehens. Unsere Programmverantwortlichen Andrea Filippi und Karin Widmer waren dabei.

Ich bin immer wieder beeindruckt, wie bedeutungsvoll das Teilen von Erfahrungen über Kontexte und Grenzen hinweg sein kann. Sich gegenseitig zu inspirieren und Hoffnung weiterzugeben, jenseits von messbaren Indikatoren, sind für die Friedensarbeit so wichtig.

— Programmverantwortliche Karin Widmer

Das Programm war dicht gepackt: In der Hauptstadtregion und auf Mindanao im Süden der Philippinen fanden unter anderem zwei öffentliche Konferenzen und ein FrauenFriedensTisch statt. Dabei ging es vor allem um den gemeinsamen Austausch zwischen philippinischen Friedensaktivist:innen und den zwei Frauen aus Kolumbien.

Remedios Uriana, eine Wayuu Indigene aus dem Norden von Kolumbien, und Juliana Rodríguez López, aus dem Department Cauca, waren Mitglieder der Gender-Arbeitsgruppe der kolumbianischen Wahrheitskommission und sind aktiv in der feministischen Friedensbewegung. Die Reise fand wenige Monate nach Ende des Mandats der Wahrheitskommission statt. Der Austausch habe ihr geholfen, «zurückzuschauen und Neues zu realisieren», sagte Remedios.

Für die philippinischen Partner:innen und Teilnehmer:innen waren die «intensiven und tiefgründigen Erfahrungen» der zwei Frauen eine Inspiration. Sie hätten «die Herausforderungen und die Bedeutung von Übergangsjustiz und besonders die Rolle der Frauen in diesen Prozessen klarer und bedeutungsvoller gemacht», so Karen Tañada, Direktorin unserer Partnerin Gaston Z. Ortigas Peace Institute (GZOPI).

Andrea und Karin teilen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse aus dieser intensiven Reise.

 

Welche gemeinsamen Ziele habt ihr verfolgt?

Karin: Wir wollten Frauen, die in den Philippinen und in Kolumbien zu Transitional Justice [TJ, Übergangsjustiz] arbeiten, motivieren und inspirieren. Zudem wollten wir dazu beitragen, dass die Empfehlungen aus dem Bericht der philippinischen Transitional Justice and Reconciliation Commission TJRC mehr Aufmerksamkeit erhalten und endlich umgesetzt werden. Schliesslich planen wir die Erfahrungen aus dieser Reise anderen Frauen, die zu TJ arbeiten, zur Verfügung zu stellen.

Worum ging es an den verschiedenen Anlässen und Treffen?

Andrea: Es ging darum, voneinander zu lernen, sich über gute und weniger gute Erfahrungen auszutauschen, Einblicke in die Arbeit anderer und so Inspiration für die eigene Projektarbeit zu erlangen. Fachpersonen und direkt Betroffene aus den Philippinen haben uns den lokalen Kontext nähergebracht. Wir konnten ihre Emotionen spüren und direkt miterleben. Mit Bildern, Videos und persönlichen Erzählungen haben Remedios und Juliana die jahrelange Arbeit, die Herausforderungen und Erfolge der kolumbianischen Wahrheitskommission für uns erlebbar gemacht.

Welche Themen tauchten an diesen Anlässen vermehrt auf?

Karin: Die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements und der aktiven Beteiligung an Friedensprozessen über Differenzkategorien hinweg wurde mehrfach bestätigt. Remedios und Juliana und die philippinischen Akteur:innen haben den Austausch zwischen Schlüsselpersonen und direkt Betroffenen betont. Das kam besonders deutlich zum Ausdruck bei den Erfahrungen zu den sogenannten «listening processes». Diese Fokusgruppendiskussionen waren die Hauptmethode der TJRC, um den direkt Betroffenen zuzuhören und ihre Zeug:innenberichte zu dokumentieren.

Andrea: Es wurde immer wieder diskutiert, dass individuelles und kollektives Zuhören zentral ist. Auch die gemeinsame Definition von und die Suche nach passenden lokalen und indigenen Terminologien für «transitional justice» wurde vermehrt hervorgehoben. Ein häufiges Thema war der intersektionale Fokus der kolumbianischen Gender-Arbeitsgruppe. Sie war von Anfang an antirassistisch, schloss afrokolumbianische und indigene Perspektiven ein, rückte die Erfahrungen von Frauen und queeren Menschen ins Zentrum, und zog dabei möglichst alle Altersgruppen mit ein. Die Bedeutung dieses intersektionalen Ansatzes wurde als eine Perspektive benannt, die die philippinischen Friedensaktivist:innen stärken möchten.  

Sind euch Gemeinsamkeiten aufgefallen?

Karin: Ich bin immer wieder beeindruckt, wie bedeutungsvoll das Teilen von Erfahrungen über Kontexte und Grenzen hinweg sein kann. Sich gegenseitig zu inspirieren und Hoffnung weiterzugeben, jenseits von messbaren Indikatoren, sind für die Friedensarbeit so wichtig. An solchen Anlässen wird häufig die mentale und physische Belastung bei Prozessen der Vergangenheitsbewältigung erwähnt. Der Austausch von Erinnerungen und individuellen Erfahrungen hilft bei der Verarbeitung. Mich fasziniert, wie diese Räume des Austauschs von den Menschen und von kulturellen Aspekten geprägt sind. Was sie in diesem Raum miteinander verbindet und ihnen hilft, die Vergangenheit zu verarbeiten, ist der Akt des Teilens.

Andrea: Eine geteilte Erfahrung ist, dass die Friedensarbeit und Vergangenheitsaufarbeitung einen sehr langen Atem brauchen. Der politische Wille, oder leider häufig der Mangel an politischem Willen zur Vergangenheitsaufarbeitung, ist in vielen Kontexten eine Realität. Daher ist individuelle als auch kollektive (Selbst-)Fürsorge zentral, um auf lange Zeit die Kraft für Friedensarbeit zu behalten.

Welche Momente bleiben euch am deutlichsten in Erinnerung?

Karin: Ich erinnere mich besonders deutlich an den FriedensTisch, da wir dort im geschützten Rahmen unsere Erlebnisse und Emotionen teilen konnten. Die Teilnehmerinnen sagten, sie glauben weiterhin an den Frieden und würden sich dafür einsetzen, damit ihre Töchter nicht das Gleiche erleben müssen wie sie. Die Bedeutung der «sisterhood» über Grenzen und Sprachbarrieren hinweg hat sich mir eingeprägt. Ich sehe noch die innige und tränenreiche Umarmung zwischen Yasmin und Bencita, einer muslimischen und einer indigenen Friedensaktivistin, die sich beide seit Jahren als intern Vertriebene und als direkt Betroffene engagieren.

Andrea: Die Reise wird mich noch lange begleiten und nähren. Ich erinnere mich an vieles, insbesondere an diesen FriedensTisch. Er hat für mich auf einer emotionalen Ebene fühlbar gemacht, wie wichtig sichere Räume sind, um sich auszutauschen und gegenseitig zu stärken. Besonders nachhaltig prägen mich die persönlichen Begegnungen und Verbindungen mit so vielen verschiedenen Menschen. Immer wieder fiel mir auf, wie ähnlich unsere Herausforderungen sind, trotz kontextueller Differenzen und Unterschiede in deren Ausmass. Wir alle sind konfrontiert mit einem Backlash und mit Widerstand gegen inklusive Feminismen und Prozesse.

Wie geht es nun weiter mit unserer Arbeit in den Philippinen?

Karin: Das aktuelle Projekt «FrauenFriedens Tische in Nepal, Kolumbien und den Philippinen: Stärkung der effektiven Beteiligung von Frauen an der Konflikttransformation» dauert bis Ende 2023. Wir unterstützen das GZOPI bei seinen Anstrengungen, dass die Empfehlungen zur Übergangsjustiz umgesetzt werden. Am FriedensTisch entwickelten die philippinischen Teilnehmer:innen konkrete Aktionen und Kampagnen-Strategien. Dabei wurden sie von den Erfahrungen aus Kolumbien inspiriert und haben diese in ihre Vorhaben integriert.

Was haben die philippinischen Partner:innen besonders hervorgehoben?

Karin: Die Umsetzung des inklusiven und intersektionalen Ansatzes der kolumbianischen Gender-Arbeitsgruppe und ihre Erkenntnis, dass es im konservativeren Kontext in Bangsamoro relevant ist, die Übergansjustiz und Versöhnung gendergerecht zu gestalten. Die philippinischen Teilnehmer:innen nannten auch die Förderung des intergenerationellen Dialogs: «Die heutige Generation weiss nicht, was gestern passiert ist.»

Das ist eine gekürzte Version des Interviews. Sie finden es in voller Länge auf unserer Website unter News.